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Biografie Stamapostel Krebs. 5
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8 In dieser Nacht begleitete er die kleine Schar, die sich ihm
zugesellt hatte, in ein Waldstück zwischen Schladen und dem Dorf Buchladen, das
bereits auf preußischer Seite lag, dem sogenannten Preußisch Zollen. Vermutlich
hatten ein paar Schladener dieses Gelände zuvor ausgekundschaftet und für ihr
Vorhaben als geeignet angesehen. Christel Vollbohm gehörte zu denjenigen, die auch nach diesem
Ausschluß treu zu ihrem Bischof Schwartz hielten. 10 11
In einem späteren Brief an den Regierungsrat Hoppenstedt in
Wöltingerode schildert Louis Preuß die damaligen Ereignisse recht anschaulich: 12 Währenddessen versuchte vor allem Heinrich Geyer durch mehrere Schreiben an die
entsprechenden weltlichen und kirchlichen Behörden, die Genehmigung zur
Durchführung von Gottesdiensten in Schladen und Umgebung zu erhalten. Doch es
kam zu keiner positiven Entscheidung, da vor allem die Pfarrer der Landeskirche
in der Tätigkeit der ,Apostel-Sekte' eine Gefahr sahen. Man bedenke, ein
Tischlergeselle und ein ehemaliger Lehrer, beide ohne abgeschlossenes
Theologiestudium, maßten sich ein Predigeramt an! Solche Männer mußten aus dem
Königreich Hannover ausgewiesen und ihnen energisch untersagt werden,
gottesdienstähnliche Versammlungen abzuhalten, bevor sie Unruhe und Unheil in
den evangelisch-lutherischen oder katholischen Gemeinden stifteten!
13 und Buchheister, die aus dem wenige Kilometer entfernten
Osterode am Fallstein stammten, ein junger Mann namens Gustav Ruff, der aus
beruflichen Gründen eine Zeitlang in Schladen lebte und später selbst ein
Apostel Jesu werden sollte — und eben der Bahnmeister Friedrich Krebs. 14
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nicht mehr feststellen, ob das an jenem Julitag 1864 oder zu
einem späteren Zeitpunkt geschah. 16 tatur fast ganz Europa gelitten hatte, war endgültig besiegt und
auf die Insel St. Helena verbannt worden. Bedingt durch die wachsende
Industrialisierung und die Fortschritte der Technik schossen in Mittel- und
Westeuropa Fabriken wie Pilze aus dem Boden. Es bildeten sich Arbeiterstädte,
und die neuen Eisenbahnen verbanden die Produktionsstätten mit den Absatzmärkten. 17 belegen ließ, ins Reich der Fabel verbannt worden. Dazu gehörte
auch der Glaube an die Bibel. Allenfalls hielt man eine Art universellen
Weltgeist für den Schöpfer aller Dinge. Doch dazu konnten die einfachen Menschen
keinen Bezug herstellen. Dieses Wesen blieb ihnen fern und fremd, es war nicht
mehr der Gott, an dessen Nähe sie früher in allen Beschwernissen ihres Lebens
geglaubt hatten. 18
Maßgebliche Unterstützung erhielt Stewart durch den englischen
Bankier Henry Drummond. Dieser sehr wohlhabende Mann hatte auf seinen
Auslandsreisen mit tiefer Betroffenheit festgestellt, wie weit Kirchen und
Gläubige sich durch den Geist und die Wirren der Zeit von Gott entfernt hatten.
Um diesem Zerfall entgegenzuwirken, gründete er gemeinsam mit J. H. Stewart die
sogenannte Festlandsgesellschaft, in der Missionare nicht nur für die
Heidenmission, sondern ebenso für die Mission innerhalb der christlichen Länder
ausgebildet wurden. Außerdem ließ die Festlandsgesellschaft Bibeln und religiöse
Schriften in großer Zahl drucken und überall in Europa verbreiten, wofür 1-lenry
Drummond einen Großteil seines Vermögens verwandte.
hatten zuvor keine Hoffnung mehr für die Todkranke gehabt,
sondern ihre Angehörigen darauf vorbereitet, daß sie bald sterben werde. Doch
nach der Handauflegung ihres Bruders war sie geheilt. 20
wurde, künftig in der Kirche am Regent Square zu predigen. Doch seinem
Auszug aus der Kirche folgte fast die ganze Gemeinde, so daß bei seinem nächsten
Gottesdienst in einem gemieteten Saal an die 800 Besucher zusammenkamen. 21
McNeile predigte. Statt dessen fand man sich regelmäßig zu
häuslichen Gebetsstunden zusammen, in denen die Gläubigen immer inniger darum
flehten, der Herr möge doch wieder Apostel und andere Ämter der Urkirche
schenken, um sein Volk auf die Wiederkunft Jesu zuzubereiten. Das Dörfchen Elend verdankt seinen Namen einer Elendsherberge.
Schon im Mittelalter führte eine Straße quer durch den Harz. Für die Reisenden,
die in die Fremde — ins Elend — wanderten, war diese Herberge errichtet worden.
In unmittelbarer Nähe erhob sich eine Burg, die die kleine Herberge gleichsam
beschützte. Da die Reisenden nicht nur ein Nachtlager, sondern auch Essen und
Trinken benötigten, entwickelte sich aus der Herberge im Lauf der Jahre ein
Bauernanwesen und später das Dörfchen, in dem Friedrich Krebs in den Kinder- und
Jugendjahren zu Hause war.
23
24 ten sie darauf, daß diese Wiederkunft zu ihrer Lebenszeit
erfolgen würde, so daß keine weiteren Apostelrufungen mehr notwendig seien. 26 Heute wissen wir, daß es nicht in Gottes Willen lag, sein Volk
ohne Hirten zu lassen. Es war ein tragischer Irrtum der englischen Apostel, daß
sie die Berufung von Charles Böhm und William Caird in dieses hohe Amt nicht
anerkannten, ebensowenig wie die späteren Rufungen weiterer Apostel. Aber selbst
in der Heiligen Schrift wird offen über manche Fehlentscheidung und das irrige
Verhalten von gläubigen Menschen berichtet. Trotzdem besteht kein Zweifel daran,
daß diese einst vom Herrn auserwählt waren und in seinem Namen Gutes und Großes
taten. Und so ist es ebenfalls vollkommen gewiß, daß die englischen Apostel der
Endzeit wahrhaftig Apostel Jesu waren und ihr Amtsauftrag Gültigkeit hatte.
Daran haben auch die später gerufenen Apostel nie gezweifelt, wenngleich ihnen
die Verweigerung der Anerkennung durch ihre englischen Mit-apostel manchen
Kummer bescherte. 27
großer Versammlung vieler Zeugen bestätigen würde, denn eine
neue Reihe der Zwölfzahl solle mit ihm beginnen." 28 der dortigen Gemeinde anzunehmen. Etwa ein Jahr später siedelte
er ganz dorthin über und arbeitete eng mit dem bereits drei Jahre zuvor von
Berlin entsandten Priester Louis Preuß zusammen. Der Älteste Schwartz wurde
zunächst Vorsteher der Hamburger Gemeinde und im Jahre 1860 zum Engel berufen.
Allerdings blieben die Hamburger Brüder und Geschwister wie bisher der Berliner
Muttergemeinde und damit dem zum Oberbischof ordinierten Carl Rothe unterstellt. 29 forderte Friedrich Wilhelm Schwartz auf, von dem bisher
beschrittenen Weg umzukehren und sich mit seiner Gemeinde wieder unter die Hand
des Apostels Woodhouse zu stellen. 30 derholten Eingaben der Geschwister zu einem Kompromiß: Man
gestattete ihnen, religiöse Privatzusammenkünfte abzuhalten, allerdings ohne die
Anstellung eines Geistlichen. 31 nicht mehr benutzten Ställen. Das veranlaßte viele, sich naserümpfend wieder
abzuwenden, nachdem sie sich einmal bereit gefunden hatten, eine Versammlung der
,Christlichen-apostolischen Missionsgesellschaft' zu besuchen. Und außerdem
bestand ja längst nicht überall Religions- und Versammlungsfreiheit.
Eine Weissagung, mit der damals, wie erwähnt, keiner der
Anwesenden etwas anzufangen wußte. Und doch bewahrheitete sie sich zwei Jahre
später. 33
Superintendenten Beyer aus Vienenburg, der als Geistlicher der
evangelisch-lutherischen Landeskirche hinzugezogen wurde, ergaben allein schon
eine recht stattliche Akte über die, wie es damals hieß, ,sectirerische
Religionsausübung der sog. apostolischen Mission'. Sie wurde dann noch erweitert
um die erbetenen Stellungnahmen des Königlichen Konsistoriums in Hannover und
der Königlichen Landdrostei*) in Hildesheim, und allen diesen Schriftstücken ist
eines gemeinsam: das Unbehagen über eine mögliche Ausbreitung der neuen ,Sekte'. 34 5 Uhr sich da noch aufgehalten hat, daß wohl 20 Personen sich
daran beteiligt, wovon etwa 8 aus Weddingen, deren Namen ich nicht erfahren
konnte, und die übrigen zum Teil aus Schladen gewesen wären, die mir sämtlich
bekannt und namhaft gemacht sind. 35
Historiker und Strategen haben später immer wieder darüber gerätselt und alle
möglichen Hypothesen aufgestellt, um das folgende zu erklären – oder wenigstens
in etwa zu begreifen. Es war und ist nach menschlicher Sehensweise unerklärbar: 36 seinen Truppen in Wien einzuziehen. Er hatte vor, die Besiegten
durch harte Friedensbedingungen zu bestrafen. So sollten die Herrscher von
Hannover, Meiningen, Kassel und Wiesbaden zugunsten ihrer Erbprinzen zur
Abdankung gezwungen, die einzelnen Staatsgebiete jedoch nicht angetastet werden.
So hätte auch das Königreich Hannover weiterhin bestanden.
37 Die Gotteskinder aus dem ehemaligen Königreich Hannover wußten
es allerdings anders und besser. Ihr himmlischer Vater hatte ein ,Gottesurteil'
gesprochen, damit sich sein Werk in Hannover nun ohne obrigkeitliche Querelen
und Verbote ausbreiten konnte. 38 Und das sollte noch sehr, sehr lange so bleiben. Aber Priester
Fritz Krebs ließ sich davon nicht schrecken – im Gegenteil. 39 gen, war Jakob Kofman, der nun von seinem Apostel zum Vorsteher
der Gemeinde Enkhuizen gesetzt wurde.
40 respondierte miteinander und traf auch zu besonderen
Gottesdiensten zusammen. Das war jedesmal eine große Freude, denn wer kämpft und
arbeitet schon gern allein und auf sich gestellt! In der Gemeinschaft konnte
einer dem anderen beistehen, und sei es nur durch ein gutes, tröstendes Wort,
einen Händedruck, der besagte: Du bist nicht allein. Wir tragen alle das gleiche
Schicksal, werden verkannt, verhöhnt und angegriffen. Wir alle bringen die
gleichen Opfer — und wir alle sind dennoch froh „und dankbar, daß wir für
unseren Herrn schaffen dürfen. 41
wurde er von seiner Firma nach Hamburg versetzt, wo er in der dortigen Gemeinde
zunächst als Priester und später als Evangelist wirkte. 42 nen ,Sekte' doppelt scharf beobachtet hätten, ob er seine Arbeit
nicht vernachlässige. So mußte er mehr leisten und gewissenhafter arbeiten als
andere Kollegen und bekam keine Schonung zugebilligt. Und wenn Friedrich Krebs
in einer Gemeinde seinen Besuch angesagt hatte, so mußten die Geschwister schon
zwei Wochen vorher darum beten, daß er auch wirklich kommen und ihnen dienen
konnte.
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![]() Goslarsche Straße 29 in Wolfenbüttel, wo Friedrich Krebs seit 1873 wohnte 43 |
46 der weiteren Umgebung gab es inzwischen etliche Gemeinden, aus
denen treue Gottesknechte hervorgingen. Einer davon, seinem Apostel Menkhoff
unwandelbar zugetan, war der Evangelist Hermann Niehaus. Er begleitete Friedrich
Wilhelm Menkhoff hin und wieder auf dessen Reisen, und dabei geschah es, daß sie
auch dem Nachbarbezirk des Apostels Preuß Besuche abstatteten, um die dortigen
Gotteskinder kennenzulernen. 47
können als sein Apostel. Er hielt Louis Preuß' Duldsamkeit für
Schwäche, seine Demut und Bescheidenheit für mangelndes Durchsetzungsvermögen,
seine gläubige Einfalt für ein Zeichen geringen Verstandes. 48.
Arbeitsbereich an das des heimgegangenen Apostels Preuß angrenzte, vorerst den
Geschwistern Hilfe und Segen zu sein; eine; Aufgabe, der Wilhelm Menkhoff sofort
und mit großer Liebe nachkam. 49 1878, in Braunschweig zusammengetroffen sind, oder ob dies erst ein Jahr später erfolgte. Sicher ist allerdings, daß bei diesem Gottesdienst, den Apostel Schwartz leitete, auch der Alteste Krebs zugegen war. Und ebenso war er auch bei den nachfolgenden Beratungen dabei. In jenem Gottesdienst nun legte Apostel Schwartz dem Herrn die Frage vor, wer nunmehr als Apostel für den Stamm Ephraim berufen werden sollte. Dabei bestätigte sich, daß die Rufung von J. F. Güldner nicht im Willen Gottes lag, sondern Apostel Menkhoff den verwaisten Stamm betreuen sollte. Eine Weissagung lautete: „Wenn das Trauerjahr um sein wird, dann werde ich euch durch Rufung den Knecht geben, der mir anstelle des heimgegangenen Apostels dienen soll." Eine andere: „Laßt euch die Freude, die ihr bis hierher empfangen habt, zur Kraft und Ermutigung dienen; mein Apostel Menkhoff wird euch eine Zeitlang an die Hand nehmen (wörtlich: mit der Hand führen)." So hatte der Herr trotz aller Trauer, Bestürzung und Unruhe den Weg gezeigt, den sein Volk gehen sollte, und auch das Herz von Friedrich Krebs mag dabei von Frieden und Zuversicht erfüllt worden sein. Er hatte einen Apostel, den er sehr liebgehabt und an dessen Hand er die ersten Schritte in das Werk Gottes getan hatte, in die jenseitige Welt abgeben müssen, aber er war dennoch nicht verlassen. Er nicht — und die ihm Anvertrauten nicht. Der Segen, der aus dem Apostelamt kommt, war ihnen in Gestalt des Apostels Menkhoff erhalten geblieben. Friedrich Krebs ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß er es sein sollte, den der Herr als neuen Apostel für den Stamm Ephraim ausersehen hatte. Und wenn er es gewußt hätte, so würde er wohl gesagt haben: Herr, ich bin nicht würdig. Nimm dir einen anderen. Aber Gott kannte sein treues Herz, seine Liebe zum Herrn, seine Festigkeit im Glauben, seine Liebe zu den Menschen und seinen ungebrochenen Kampfgeist. Darum war Friedrich Krebs zu diesem hohen Amt von ihm erwählt worden. Seit dem Tod des Apostels Preuß diente er den Gemeinden seines Bezirks mit noch größerem Eifer und einem fast völligen Verzicht auf Erholung und Privatleben. Auch nach Hamburg kam er oft, vor allem, nachdem der Alteste Wichmann, der nach Apostel Preuß' Heimgang von Apostel Menkhoff ins Bischofsamt berufen worden war, kaum ein Jahr später zur Ruhe gesetzt wurde. Statt seiner sollte nun Fritz Krebs im Jahre 1880 dieses Amt auferlegt werden. So hatte Apostel Schwartz es nach vielen Gebeten um diese wichtige Amtsgabe seinem Mitapostel Menkhoff geschrieben. Die beiden Gottesknechte waren sich einig: Friedrich Krebs würde ein rechter Bischof sein, voller Fürsorge für die Seelen und voll heiligen Eifers, das Werk Gottes nach außen und innen zu festigen. So schrieb also Apostel Schwartz schon im Juni 1879 an Friedrich Krebs, daß er Apostel Menkhoff beauftragt habe, ihn ins Bischofsamt zu setzen. Er solle sich deshalb nicht fürchten, diese Handlung sei gültig, auch wenn zuvor keine Rufung durch einen Propheten erfolgt sei. Dennoch verging darüber ein Jahr, in dem der Alteste Krebs genauso einsatzfreudig wie bisher seinen Aufgaben im Werk Gottes nachkam. 50 APOSTELRUFUNG BEIM MISSIONSFEST Zehn Kilometer von seiner Heimatgemeinde Schladen lag das Harzörtchen Osterode am Fallstein. Auch dort war eine Gemeinde entstanden, zu der der Landwirt Fricke gehörte. In Schladen fanden zu dieser Zeit nur noch selten Gottesdienste statt. Der Grund: Viele der Geschwister waren im Lauf der Jahre fortgezogen, und die, die zurückgeblieben waren, wurden inzwischen von Bruder Fricke mit Pferd und Wagen nach Osterode zum Gottesdienst geholt. Er hatte dafür einen geeigneten Raum auf seinem Hof zur Verfügung gestellt. Doch damit nicht genug — ab 1880 fanden dort alljährlich sogenannte Missionsfeste statt, bei denen die Geschwister aus nah und fern zusammenkamen und den Menschen der Umgebung Zeugnis von der Wirksamkeit der Apostel gebracht wurde. Unter dem Datum vom 27. Juni 1880 wird ein solches Missionsfest zum ersten Mal in der Gemeindechronik und der örtlichen Presse erwähnt. Apostel Menkhoff war aus Bielefeld angereist, um Gottesdienst zu halten und anschließend den Altesten Krebs ins Bischofsamt zu setzen. Apostel Schwartz hatte bedauerlicherweise nicht kommen können, aber er wird in Gedanken mit den Lieben in Osterode verbunden gewesen sein. Als Apostel Menkhoff seine Predigt beendet hatte, geschah etwas, womit weder er noch Friedrich Krebs gerechnet hatten. Der Geist der Weissagung brach sich unter den Versammelten Bahn, 21 Personen wurden durch den Geist Gottes getrieben, zu'weissagen, und zwei von ihnen, der Prophet Hugo und Apostel Hohl, riefen Friedrich Krebs zum Apostel des Stammes Ephraim als Nachfolger des heimgegangenen Apostels Preuß. Dadurch entstand zunächst ein wenig Verwirrung, weil Fritz Krebs ja von Apostel Menkhoff zunächst ins Bischofsamt gesetzt werden sollte. Das tat der Apostel denn auch und schob die Aussonderung zum Apostel vor- 51 52 läufig auf, um keinen Fehler zu machen, was nach den Erfahrungen der vorangegangenen Zeit verständlich war. Ein knappes Jahr später jedoch, nämlich am 27. Mai 1881, fand wiederum ein Missionsfest in Osterode am Fallstein statt, und bei dieser Gelegenheit erfolgte durch Apostel Menkhoff die Aussonderung von Friedrich Krebs zu einem Apostel Jesu. So lag nun, siebzehn Jahre nachdem er versiegelt worden war, das Apostelamt auf seinen Schultern, und in keiner Stunde seines Lebens hat er die Bürde dieses Amtes, aber auch die heilige Verpflichtung, die daraus erwuchs, vergessen. Ein Apostel Jesu zu sein, das hieß für Fritz Krebs, noch mehr zu arbeiten, noch weniger Rücksicht auf sich selbst zu nehmen, noch mehr zu lieben und zu ringen. Er war ein Mann mit der besonderen Gabe, geistige Strömungen wahrzunehmen, auch solche, die dem Geist Gottes widerstrebten, und das machte ihn zu einem unbestechlichen Sachwalter seines Herrn. Wenn Apostel Krebs in eine Gemeinde kam, spürte er sogleich, welche Gesinnung dort herrschte, und seine Scharfsichtigkeit, wenn er mit Geschwistern oder . Amtsträgern sprach, mag manche erschreckt und beschämt haben. So hat er durch ein rechtes Wort zur rechten Zeit viele zurechtgebracht, anderen die Maske vom Gesicht gerissen, während er den Ehrlichen, Aufrichtigen allezeit ein gütiger Vater war. Schon längst war das Werk des Herrn zum Mittelpunkt seines Lebens geworden, aber nach seiner Berufung zum Apostel wurde es sein alleiniger Inhalt. Er lebte nur dafür, und nichts und niemand konnte ihn aufhalten, wenn es galt, für Gott zu arbeiten. Zehn Jahre nach Apostel Krebs' Amtseinsetzung schrieb Apostel Schwartz in seinen Aufzeichnungen: ,,...wir Apostel haben bei dieser Handlung keinen Fehler gemacht, denn der gerufene Apostel ist heute schon seit zehn Jahren ein zuverlässiger Diener Gottes und ein Apostel des Herrn, der in großem Segen wirkt. Durch die Auflegung seiner Hände sind alle Gaben in den Gemeinden zur Offenbarung gekommen. Fast dreißig Gemeinden stehen jetzt voller lebendiger Gaben unter seiner Leitung. Glänzend hat uns so der Herr aus aller unserer Not erlöst." „Vorwärts in Jesu Namen!" war einer der Sätze, die Apostel Krebs oft gebrauchte und mit dem er seinen Glaubensbrüdern Auftrag gab, für das Werk des Herrn zu zeugen. Allerdings hat er nie von ihnen verlangt, mehr zu tun, als er selbst zu tun bereit war. Und die Arbeitslast, die in den folgenden Jahren auf seine — zugegebenermaßen — tragfähigen Schultern gelegt wurde, war manchmal wahrlich erdrückend. Zu dieser Zeit betrieb Apostel Ludwig Bösecke in Berlin eine Schuhmacherwerkstatt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. In Berlin gab es zahlreiche Mitglieder der alten apostolischen Ordnung, und Apostel Bösecke sah es als sein vornehmstes Ziel an, bei ihnen Eingang zu finden. Er war ursprünglich Mitglied der Katholisch-apostolischen Gemeinde und dort Amsträger gewesen, bevor er sich Apostel Preuß und der neuen Ordnung zuwandte.
53 Apostel Böseckes Bemühen um seine ehemaligen Glaubensgeschwister war allerdings so gut wie aussichtslos. Die Herzen blieben ihm verschlossen. Dennoch reichte die kleine Kellerwohnung in der Gartenstraße 102, in der sich auch seine Werkstatt befand, bald nicht mehr aus, die Gäste aufzunehmen, so daß die Gottesdienste nach einiger Zeit im Schuhmacherkeller eines Berufskollegen, der zu einem Glaubensbruder geworden war, in der Frankfurter Allee stattfanden. Nachdem die Gemeinde mit Amtsbrüdern versorgt war, zog Apostel Bösecke – seinem Auftrag entsprechend – 1872 nach Schlesien, wo er einige kleine Gemeinden ins Leben rief. Ab 1877 oder 1879 verstärkte er wieder sein Wirken in Berlin, über- siedelte dann aber im Jahre 1884 nach Breslau. Sein immer schlechter werdender Gesundheitszustand zwang ihn, die Tätigkeit in Berlin einzuschränken und schließlich ganz aufzugeben. Deshalb bat er seinen Mitapostel Fritz Krebs, sich der Berliner Gemeinde anzunehmen; ein Wunsch, dem dieser gern Folge leistete. So bereiste Apostel Krebs nun nicht mehr nur den norddeutschen Bezirk, sondern fuhr auch in regelmäßigen Abständen nach Berlin und Umgebung, um dort zu dienen. Auch in Bielefeld war er häufig anzutreffen, um mit Apostel Menkhoff und dem Evangelisten Hermann Niehaus zusammenzukommen. Ebenso ist er in dieser Zeit ein- oder zweimal nach Holland gereist, um sich von Apostel Schwartz, der einen so großen Weitblick für die Entwicklung des Werkes Gottes besaß, stärken und beraten zu lassen. Die Einheit der Apostel in allen Glaubensfragen lag Apostel Schwartz besonders am Herzen. Darin fand er bei den Aposteln Menkhoff und Krebs tatkräftige Unterstützung. Wie in der Urkirche, so sollte es auch in der Vollendungszeit sein. Christus das Haupt, seine Apostel die Glieder, von denen keines sich selbständig machte und nach eigenem Gutdünken handelte. Zu seiner Zeit war Apostel Schwartz für seine Mitapostel die oberste Autorität; sie waren allezeit bestrebt, sich nach ihm auszurichten. Noch gab es das Stammapostelamt, wie wir es heute kennen, nicht. Im Jahre 1884 wurde ein weiterer Schritt zur Einheitlichkeit der Glaubenslehre getan, den nicht nur die Apostel und Amtsträger, sondern auch die Geschwister freudig begrüßten. Auf. Initiative des Apostels Menkhoff erschien im Januar eine apostolische Kirchenzeitschrift, „Der Herold", des- sen Inhalt von ihm selbst gestaltet wurde. Es wurden darin Gottesdienstberichte, religiöse Betrachtungen und Glaubenserlebnisse abgedruckt. Auf diese Weise konnten alle Gotteskinder nachlesen, was die Apostel den Gemeinden bei besonderen Festgottesdiensten nahegebracht hatten. Man nahm am Glaubensleben anderer Bezirke teil, und vor allem wurde die Apostellehre rein und unverfälscht wiedergegeben. In der Katholisch-apostolischen Gemeinde gehörte es zur liturgischen Ordnung, daß die dienenden Brüder besondere Kirchengewänder trugen. Auch wurden in jedem Gottesdienst Liturgien gesungen und Weihrauch und Altarkerzen verwendet. Die Apostel Schwartz und Preuß hatten diesen Brauch übernommen, doch im Lauf der Zeit stellte sich heraus, daß dies bei manchen Geschwistern und solchen, die das Werk Gottes als Gäste prüften, ein Stein des Anstoßes war. Man wollte keinen Prunk, keine besonderen Riten, sondern das reine Wort Gottes hören, von schlichten, gläubigen Männern übermittelt. Apostel Menkhoff, der ehemalige reformierte Pfarrer, empfand das ebenso und hatte Apostel Schwartz schon in den siebziger Jahren ans Herz gelegt, dieses übernommene Ritual abzuschaffen. In den holländischen Gemeinden war das schon damals geschehen, und nun wurde es im Jahre 1885 einheitlich in allen apostolischen Gemeinden der neuen Ordnung ebenso gehandhabt. Überhaupt brachten die beiden letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts manche Veränderung – oder richtiger – Vervollkommnung im Werk Gottes, trotz mancher Stürme und schmerzlicher Verluste. Da war zunächst das äußere Wachstum. Die Gemeinden vergrößerten sich, es kamen neue hinzu, aus denen wiederum treue Amtsträger hervor-
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gingen. Und nicht nur in Deutschland breitete sich das Werk Gottes aus, auch wenn in den einzelnen Staaten da und dort immer noch um die freie Religionsausübung gekämpft und manche Bittschrift und Eingabe verfaßt werden mußten. Im Jahre 1882 war der Bruder H. Friedrich Niemeyer, der 1864 als neunjähriger Bub mit seiner Mutter in Schladen von Apostel Preuß versiegelt worden war und in dessen Elternhaus später die Gottesdienste in Schladen stattfanden, als Evangelist nach Australien gegangen, um die dort lebenden apostolischen Auswanderer zu betreuen und verlangende Seelen einzuladen. Jetzt, im Jahre 1886, kam Bruder Niemeyer gemeinsam mit seinem Glaubensbruder Dargusch zu Besuch in die alte Heimat, um seine Lieben wiederzusehen. Die beiden trafen gerade noch rechtzeitig ein, um das alljährliche Missionsfest in Osterode am Fallstein, das am 23. Juli stattfand, mitzuerleben. Das war ein frohes Wiedersehen mit so manchen Geschwistern – und vor allem auch mit Apostel Krebs. Bruder Niemeyer wußte viel von Australien zu erzählen. Er lebte in Queensland und hatte dort inzwischen eine Gemeinde von etwa achtzig Seelen gesammelt. Zwar war er berechtigt, mit ihnen das Heilige Abendmahl zu feiern und auch Taufen, Trauungen und andere kirchliche Handlungen vorzunehmen, doch das Wichtigste, wonach die Seelen in Australien sich sehnten, die Heilige Versiegelung, blieb ihnen versagt, weil sie noch keinen Apostel hatten. Da waren nun in der Queenslander Gemeinde immer innigere Gebete zum lieben Gott aufgestiegen, er möge doch auch ihnen einen Apostel senden, und in seinen Briefen in die alte Heimat hatte Evangelist Niemeyer immer wieder darum gebeten, man möge auch in den deutschen Gemeinden dieses Wunsches fürbittend gedenken. 56
Dies war geschehen, und schon vor seiner Reise nach Deutschland waren hier und in Australien Weissagungen hörbar, die darauf hindeuteten, daß Gott seinen Knecht Niemeyer zum Apostel für Australien ausersehen hatte. Während des Missionsfestes bestätigten sich diese Weissagungen. Es waren sehr viele Geschwister versammelt. Die Gemeinden von Berlin, Hamburg, Coswig und Bielefeld waren durch Abgesandte vertreten, und die Geschwister aus dem Braunschweiger Bezirk und dem Harz hatten sich fast vollzählig eingefunden. Apostel Krebs leitete den großen Festgottesdienst, der um elf Uhr dreißig begann und erst am Nachmittag um drei Uhr endete. Die Predigt hielt Apostel Menkhoff. „Danach", so schreibt er in seinem Bericht für den ,Herold', „entstand eine kurze Pause, in welcher der Herr durch die weissagenden Personen zu der Gemeinde redete. Danach wurde dem Herrn ein Loblied gesungen und gebeten, daß Er [Gott] Arbeiter aussenden möchte in Seine Ernte. Er wurde gefragt, ob Er nach Australien einen Apostel senden wolle und wen Er dazu auserkoren habe. Auf diese Frage antwortete der Herr, daß Er Niemeyer zum Apostel für Australien erwählt habe. Die Kraft Gottes war mächtig fühlbar in unserer Mitte, es war uns, als ob die Stätte sich bewegte, wo wir versammelt waren. Nachdem von den Aposteln, die zur Zeit zugegen waren, dem Bruder Niemeyer das Evangelistenamt entnommen war, wurde er mit Gebet und Handauflegung zum Apostel ausgesondert und mit in die Zahl der Apostel aufgenommen und dem Herrn dann bittend empfohlen. Der Schlußakt dieses Festes war eine Feier des Heiligen Abendmahls, woran alle teilnahmen ..." Anläßlich jenes Missionsfestes beschlossen die nunmehr drei Apostel, eine wohl schon einige Zeit zuvor zwischen Wilhelm Menkhoff und Friedrich Krebs besprochene Absicht in die Tat umzusetzen und an den englischen Apostel Woodhouse zu schreiben. Er war der einzige noch lebende Apostel der alten Ordnung und stand im hohen Alter von 81 Jahren. Was sollte aus der Katholisch-apostolischen Gemeinde werden, wenn auch er heimging? Für Friedrich Krebs, Wilhelm Menkhoff und H. F. Niemeyer stand es außer Frage, daß Francis Valentine Woodhouse genau wie die inzwischen verstorbenen Apostel ein Botschafter Jesu Christi war. Schon vor der Teilung zwischen der alten und der neuen Ordnung war durch Weissagungen 57 und Gesichte offenbart worden, daß die Rufung der ersten zwölf Apostel der Endzeit auf den Britischen Inseln und die Gründung der Katholisch-apostolischen Gemeinden nur der Anfang sei, aus dem ein noch viel größeres Werk hervorgehen werde. Nun wollten die Apostel Krebs, Menkhoff und Niemeyer den ersten Schritt tun, um die Trennung wieder aufzuheben, und sie hofften von ganzem Herzen, daß Apostel Woodhouse die zur Versöhnung ausgestreckte Hand ergreife. In ihrem Schreiben an Apostel Woodhouse gingen sie besonders auf die vielen Gemeinsamkeiten ein, auf den Glauben an das vom Herrn wieder aufgerichtete Apostelamt, die Spendung der drei Sakramente Heilige Taufe, Heiliges Abendmahl und Heilige Versiegelung sowie die Erwartung der Wiederkunft Christi. Der Brief schließt mit den eindringlichen Worten: „Predigen Sie, lieber Bruder, versöhnliche Liebe zu uns, die wir bisher umsonst um seines [Gottes] Werkes willen bei Ihnen gesucht haben. Lassen Sie diese Predigt der Liebe in allen Ihren Gemeinden erschallen; denn auch wir lieben Sie und bitten zu Gott, daß er Sie mit reichem Segen überschütten wolle, weil wir Sie für einen von Jesu gesandten Apostel halten, wie wir aber auch uns für solche ansehen, die, nach dem Willen Gottes vereint, mit Ihnen das Werk des Herrn bis zur Vollendung treiben sollen. Darum nun, weil wir dieses glauben, hielten wir uns zum Schreiben dieses Apostelbriefes verpflichtet, um vor Gott gerechtfertigt dazustehen und sagen zu können: ,Herr, wir haben deine Befehle erfüllt und dieses Zeugnis gebracht.' Ihre in der Liebe Jesu verbundenen Brüder und Mitapostel Jesu Christi." Es folgten die Unterschriften von Wilhelm Menkhoff, Friedrich Krebs und H. F. Niemeyer. Apostel Woodhouse hat leider nie auf diesen Brief geantwortet. Aber als er in seine Hände gelangt sein mußte, hatten Geschwister der apostolischen Gemeinde, die nichts von jenem Vorgang wußten, Gesichte, in denen sie Apostel Woodhouse sinnend und mit Tränen in den Augen am Tisch sitzen sahen, umgeben von seinen Bischöfen, die ihn von ,unüberlegten Schritten' abzuhalten suchten. Bald nach jenem Missionsfest in Osterode, das so viel Freude und Segen gebracht hatte, erreichte Apostel Krebs eine traurige Nachricht: Apostel Bösecke war am 2. August 1886 heimgegangen. Er hatte von Breslau aus unermüdlich daran gearbeitet, dem lieben Gott Seelen zuzuführen, doch leider war ihm nur wenig Erfolg beschieden gewesen. Zwar existierten die von ihm gegründeten schlesischen Gemeinden immer noch, denen er in großer Liebe bis zu seinem Tod diente, aber weder in Breslau selbst noch in Böhmen und Mähren, das zu dieser Zeit zur österreichischen Donaumonarchie gehörte, wo es noch keine Religionsfreiheit gab, noch in Polen, das nach den blutigen Aufständen von 1863 und 1864 dem russischen Zarenreich einverleibt worden war, hatte das 58 Werk Gottes Fuß fassen können. Immerhin hatte Apostel Bösecke in seinen letzten Lebenstagen die freudige Genugtuung erleben dürfen, daß seine in Berlin begonnene Arbeit reiche Früchte trug, denn unter der Leitung des Apostels Krebs war dort eine blühende Gemeinde entstanden. Eine zweite Trauerbotschaft traf im Mai 1887 ein: Apostel Johann Christoph Leonhard Hohl war heimgegangen; ein Gottesstreiter wie Apostel Bösecke hatte er unter unsäglichen Mühen versucht, seinen Amtsauftrag in Südwestdeutschland zu erfüllen. In Württemberg war der Erfolg seines Bemühens, eine Gemeinde zu gründen, sehr bescheiden geblieben. Dafür konnte aber Gottes Werk in Gießen Fuß fassen, wohin der Apostel Hohl gezogen war und wo er in dem Evangelisten Gustav Ruff einen tatkräftigen Helfer hatte. Zwei Jahre vor seinem Tod übersiedelte Apostel Hohl aufgrund einer Weissagung nach Frankfurt am Main, während Evangelist Ruff in Gießen zurückblieb, um als Vorsteher der dortigen Gemeinde zu dienen. In Frankfurt konnte Apostel Hohl wiederum eine kleine Schar von Gläubigen für das Werk des Herrn gewinnen. Zu seiner großen Freude gehörten drei seiner Kinder und zwei ihrer Ehegatten dazu. Aber das viele Mühen und Ringen, gepaart mit der Sorge um das tägliche Brot, hatten die Gesundheit des Apostels untergraben, so daß er in Frankfurt bald nur noch sehr eingeschränkt seinem Amtsauftrag nachkommen konnte. Doch bis zu seinem letzten Atemzug unterstützte er die Arbeit seiner Mitapostel und Brüder durch seine Gebete. Für Friedrich Krebs bedeutete der Heimgang von Apostel Hohl nicht nur das Abgeben eines liebgewonnenen Gottesknechtes in die jenseitige Welt, sondern auch die Übernahme einer weiteren Arbeitslast, sollte er doch als Apostel des Nachbarbezirks für die Zeit des Trauerjahres die verwaisten Gemeinden betreuen. Aber wie immer, wenn es um das Werk des Herrn ging, war diese neue Aufgabe für Apostel Krebs eine liebe Last. Außerdem bescherte sie ihm ein Wiedersehen mit seinem alten Freund und Glaubensbruder aus Schladener und Hamburger Tagen, dem Evangelisten Gustav Ruff. Die beiden Gottesknechte haben in jenem Jahr häufig Briefe miteinander gewechselt und sind, so oft es ihnen möglich war, zusammengetroffen. So war es Gustav Ruff, der
Apostel Francis Valentine Woodhouse 59 das
Apostelwort immer wieder frisch in die hessischen Gemeinden brachte, um
die Geschwister zu stärken und ihren Glauben lebendig zu erhalten. Als Apostel Krebs im Sommer 1888 in einem feierlichen
Gottesdienst in Wolfenbüttel dem Herrn die Frage vorlegte, wer der neue
Apostel für Süddeutschland werden sollte, herrschte für ein paar Minuten
völlige Stille unter den Versammelten. Dann jedoch brachen mit aller
Macht die Weissagungen hervor. Zwei von ihnen nannten den Namen des von
Gott erwählten Bruders: Es war Georg Gustav Adolf Ruff. Diese Rufung
wurde von allen anderen Weissagungen bestätigt. So fragte Apostel Krebs nun Gustav Ruff, ob er das
Amt und die Bürde eines Apostels Jesu auf sich nehmen wolle, was jener
mit einem festen „Ja" beantwortete. Daraufhin legten ihm Apostel Krebs und der ebenfalls
anwesende Apostel Menkhoff die Hände auf, sonderten ihn nach einem Gebet
zum Apostel aus und nahmen ihn in ihre Gemeinschaft auf. Auch die Lücke, die der Tod von Apostel Bösecke
gerissen hatte, war von Gott wieder geschlossen worden. Schon ein Jahr
nach Apostel Böseckes Heimgang, am 29. Mai 1887, wurde der Älteste Obst
durch ein Prophetenwort zum neuen Apostel berufen. Nun, im Jahr 1888,
wurde Apostel Obst am 3. Juni in den Apostelring aufgenommen, wie der
Zusammenschluß der Apostel inzwischen genannt wurde. Dieser Apostelring war der erste große Schritt zur Einheit des
apostolischen Werkes. Die Apostel kannten und schätzten einander, man
60 sich gegenseitig aus, und alle Fragen und Sorgen wurden gemeinsam besprochen und zu klären gesucht, wobei Apostel Schwartz immer noch derjenige war, dessen Wort das meiste Gewicht besaß.Einen guten Monat später fand ein großes Missionsfest in Amsterdam statt, zu dem auch Friedrich Krebs und Wilhelm Menkhoff reisten. Auch. ein dritter deutscher Apostel war dabei, dessen Name aber in dem entsprechenden Bericht des ,Herold' nicht genannt wird. Mit ihnen war noch eine Anzahl Amtsträger aus Deutschland gekommen. Alle verlebten unter der Bedienung des Apostels Schwartz segensreiche Stunden im Hause Gottes. Freilich verstanden die deutschen Brüder nicht viel von den in Holländisch gehaltenen Predigten, dennoch fühlte ihr Herz die Nähe und Liebe Gottes. Genauso erging es den holländischen Geschwistern, als im Gottesdienst am Nachmittag die Apostel und Amtsträger aus dem Nachbarland dienten. Nur einer von ihnen war des Holländischen mächtig — vermutlich war es Hermann Niehaus, von dem bekannt ist, daß er schon sehr frühzeitig Holländisch gelernt hatte, um nicht nur die Schriften des von ihm sehr verehrten Apostels Schwartz in dieser Sprache lesen, sondern auch den Geschwistern in den Niederlanden dienen zu können. Die anderen predigten in Deutsch, aber der Geist, der sie mit den Gotteskindern in Amsterdam verband, war derselbe, so daß keine Fremdheit und kein Unverständnis aufkamen. Apostel Menkhoff schrieb dazu in seinem Bericht über diese Reise im ,Herold': „Nun, sollte Gott nicht machen können, daß, wenn wir in einer fremden Sprache, die wir nie gehört hatten, Sein Wort verkündigen hörten, nicht ebenso großen Segen davon haben könnten, als wenn uns in unserer eigenen Sprache gepredigt würde? Gewiß, und das würde nicht das erste Mal sein, daß Gott dies täte." An diesem Sonntag in Amsterdam war auch der Apostel Lim Tjoe Kim von Java zugegen, der für Gottes Volk in Niederländisch-Indien (dem heutigen Indonesien) stritt. Es war Apostel Schwartz' kluger Voraussicht zu verdanken, daß dort apostolische Missionsarbeit geleistet worden war. Als ersten hatte er von Amsterdam aus den 1883 heimgegangenen Apostel Anthing dorthin geschickt. Unterdessen gab es dort mehrere Gemeinden, die nun unter der Hand des einheimischen Apostels standen. Das Zusammenwirken der Apostel in Glaubens- und auch Verwaltungsfragen zeitigte schon bald erste Früchte. So wurde im Jahre 1889 das erste apostolische Gesangbuch herausgegeben, in dessen Vorwort es heißt: „Von dem von Gott erweckten wieder aufgerichteten Apostolat Christi ist der Beschluß ausgegangen, den Apostolischen Gemeinden ein einheitliches Kirchen-Gesangbuch zu geben, welches dem zeitgemäß geoffenbarten Glauben an die Sendung unseres Herrn Jesu Christi in seinen gesandten Aposteln und dem durch dieselben aufgerichteten Werke der Sendung entspricht."
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Bisher hatten die Geschwister bei den Gottesdiensten überall das Gesangbuch der evangelischen Landeskirche verwendet. Das neue apostolische Gesangbuch enthielt 390 Lieder, außerdem Hinweise für den Ablauf der Gottesdienste und Anweisungen für die Durchführung verschiedener Segenshandlungen wie Taufen, Nottaufen, Konfirmationen, Trauungen usw. Auch Beispiele für Gebete, Ansprachen und Segensformeln waren darin angeführt — die ersten offiziell festgelegten Richtlinien zur einheitlichen Ausrichtung der Gemeinden und der Gestaltung der Gottesdienste. Auch gemischte Chöre bildeten sich nach und nach. Die Initiative dazu ging von Apostel Krebs aus. Als er einmal von einer größeren Reise zurückgekehrt war, wurde er in Wolfenbüttel durch ein Lied, von einem Männerquartett vorgetragen, begrüßt. Er hörte erfreut zu und meinte nach dem Schluß der Darbietung in seiner humorig-knappen Art, man solle ,die Sache' weiter ausbauen — ein Wunsch, dem die Geschwister gern nachkamen. Apostel Krebs liebte unsere Lieder, und eines ging ihm jedesmal, wenn es gesungen wurde, besonders nahe. Es war „Der Herr ist mein Licht, ist mein Licht und ist mein Heil ..." Oft bat er die Sänger während eines Gottesdienstes darum. Er sagte dann nur: „Mein Lied!", und alle wußten, was gemeint war. Wenn dann die Stelle kam: „Eins nur, ach, eines bitt' ich vom Herrn, eines hätte ich gern: daß ich mög' bleiben im Hause des Herrn..."
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in Hamburg erfuhr. Der Älteste Friedrich Wachmann hatte seinem Apostel einen Brief geschrieben, in dem er ihm das Wüten der Seuche schilderte. Apostel Krebs las diesen Brief des Altesten Wachmann voller Erschütterung. Die Menschen in Hamburg starben zu Tausenden. Die Leichen wurden, nur in Leinen gewickelt, auf großen Möbelwagen zum Friedhof gebracht, oft über hundert Tote in einem Fahrzeug. Unzählige Geschäfte waren geschlossen, weil in der Familie des Inhabers oder unter seinen 63 A ngestellten ein Cholerafall vorgekommen war. Und auch in den Reihen der Hamburger Geschwister brach die schreckliche Krankheit aus.Ein Neffe des Ältesten, Fritz Meyer, war einer der ersten, der daran starb. Friedrich Wachmann war durch eine Depesche über die Erkrankung informiert worden, und trotz der Tatsache, daß, wer in diesen Tagen nach Hamburg kam, die Stadt nicht mehr verlassen durfte, machte er sich unverzüglich auf Umwegen auf, um seinen Neffen zu sehen. Er kam zu spät. Der junge Mann war gestorben, nachdem die Krankheit etwa fünf Stun- den zuvor bei ihm voll ausgebrochen war. Mehrere Geschwister hatten den Kranken gepflegt und versucht, ihm Linderung seiner Leiden zu verschaffen. Nun stand zu befürchten, daß sie sich angesteckt hatten. Am folgenden Morgen hielt der Älteste Wachmann Gottesdienst in Hamburg. Aber er kam nicht zum Predigen, weil tatsächlich mehrere Geschwister unter großen Schmerzen zusammenbrachen, darunter auch die, die Bruder Meyer gepflegt hatten. Aber: Ist die Not am größten, ist Gottes Hilf' am nächsten. Bewegt und dankbar las Apostel Krebs die nun folgende Schilderung von Bruder Wachmann, wie er und einige andere Amtsträger unter dem Bitten und Flehen der Gemeinde den Kranken die Hände aufgelegt und dem Tod im Namen Jesu zu weichen geboten hatten. In allen Fällen trat danach eine rasche Besserung ein. Der Apostel ließ den Brief im ,Herold' abdrucken und fügte selbst ein Schreiben an die Gemeinden bei, in dem er ihnen eindringlich ans Herz legte, der Geschwister in Hamburg zu gedenken. Darin schreibt er unter anderem: „Ich freue mich, daß Jesus in Seinen Knechten dort in der Gemeinde zu Hamburg solche Gestalt gewonnen hat... Um nicht glauben zu machen, als sei dies der Gemeinde zu Hamburg als alleinstehend widerfahren, füge ich zum Beweise der sehr engen Verbindung in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes noch hinzu, daß, wo ein Glied leidet, doch der ganze Leib leidet und mitempfindet ... So möge in diesem Stamme in jeder Gemeinde und Hause das Entbehrlichste sich enthalten und die Fürbitten um Hülfe und Schutz für die Knechte und Gemeinde Hamburg in jedem Dienste und Gebete besonders dargebracht werden und darin so lange beharren, bis Hülfe und Segen für Sein Volk erfolgt. Der Gott des Trostes und Geduld wolle uns mit unseren lieben Geschwistern gnädig sein. Mit herzlichem Gruße in Jesu, Euer Bruder F. Krebs."
Von Haus aus war er kein Mann der Feder, der Apostel Friedrich Krebs, sondern einer der Tat. Es wird ihn manchmal hart angekommen sein, von seiner ohnehin kurzen Nachtruhe noch Stunden für die Schreibtischarbeit zu opfern. Aber seit seiner Einsetzung zum Apostel häufte sich die Korrespondenz, die in Wolfenbüttel in der Brauergildenstraße 44 einging, wohin Apostel Krebs mit seiner Familie vor einiger Zeit umgezogen war. Die anderen Apostel schrieben ihm, die Amtsträger, aber auch zahlreiche Geschwister, und er hat alle Briefe beantwortet, so rasch es ihm möglich war. Manches Mal, wenn er von einer längeren Reise zurückkam, war 65 es ein ganzer Berg Post, der ihn erwartete; aus Amsterdam, aus Berlin, aus seinem eigenen Bezirk, aus Westfalen und dem Rheinland oder auch aus Übersee. Man kann sich gut vorstellen, wie der breitschultrige große Mann des Nachts beim Schein einer Petroleum- oder Gaslampe am kleinen Tisch saß und las oder schrieb. Und oft genug wird er diese Tätigkeit unterbrochen haben, um fürbittend seiner Brüder und Geschwister zu gedenken oder göttlichen Rat zu erbitten, damit er jedem, der sich an ihn wandte, auch die rechte Antwort geben könnte. Nur ein paar Stunden Schlaf mußten ihm danach genügen, bis er wieder aufstand, um seiner Tagesarbeit als Bahnmeister nachzugehen. Wie gewissenhaft er sie ausgeführt hat, beweist die Tatsache, daß Friedrich Krebs bei seiner Pensionierung im Jahr 1894 — er hatte sich zu diesem Schritt schon mit 62 Jahren entschlossen, um danach ausschließlich für das Werk Gottes dasein zu können — vom preußischen König Wilhelm II. den Kronenorden IV. Klasse verliehen bekam. An hohen Feiertagen hat Apostel Krebs diesen Orden stets getragen. Sein vorzeitiger Schritt in den beruflichen Ruhestand war nicht zuletzt deshalb notwendig geworden, weil Apostel Menkhoff seit längerer Zeit krank und gebrechlich war. So hatte wegen seines geschwächten Zustandes der ,Herold' schon seit dem 1. Januar 1893 nicht mehr erscheinen können. Seine von ihm zärtlich geliebte Frau, Auguste Menkhoff, war gegen Ende der achtziger Jahre entschlafen. Sie war ihm in seinem wahrlich nicht leichten Leben, in dem er Sorgen und Entbehrungen, Spott und Verachtung zu tragen gehabt hatte, und dies alles um seines Glaubens willen, eine treue Stütze gewesen,
Apostel Krebs ist diesem Wunsch ohne Zögern nachgekommen. Nun traf er noch häufiger mit Hermann Niehaus zusammen und lernte diesen Gottesknecht immer mehr schätzen. Das war einer nach Apostel Krebs' Herzen! Demütig und kindlich, aber gleichzeitig ein Mann wie ein Felsen, von einem wahrhaft heiligen Eifer für die Sache Gottes erfüllt. In ihrer Wesensart müssen sie einander in vielen Dingen ähnlich gewesen sein, Apostel Krebs und Bischof Niehaus. Einer konnte auf den anderen bauen. Deshalb ordinierte Apostel Krebs im März 1895 Hermann Niehaus zum Stammbischof für Isaschar, eine Berufung, die dieser wohl schweren Herzens, aber im Vertrauen auf Gott annahm. Wenig später, am 21. Juni 1895, ging Apostel Menkhoff heim. Er hinterließ vier Bezirke mit sechzehn Gemeinden; ein gewaltiger Aufschwung, wenn man bedenkt, wie klein und armselig auch hier das Werk Gottes einst seinen Anfang genommen hatte. Die ersten Gottesdienste hatten auf dem Niehausschen Anwesen in Quelle-Steinhagen in einem Stall stattgefunden, und die ersten Seelen, die Apostel Schwartz nach der aufopferungsvollen Zeugenarbeit des damaligen Evangelisten Menkhoff hatte versiegeln können, waren zehn bis fünfzehn an der Zahl. Apostel Krebs wurde von den verwaisten Geschwistern und Amtsträgern gebeten, sich während des Trauerjahres weiterhin des Stammes Isaschar anzunehmen. Er tat es in schwieriger Zeit, denn schon in den letz-
ten Lebensmonaten des Apostels Menkhoff, als er zu krank und schwach gewesen war, um in früherer Entschlossenheit für den Frieden innerhalb der Gemeinden zu sorgen, waren da und dort Männer aufgetreten, die meinten, alles besser zu wissen als ihr Apostel. Auch sie fanden Anhänger, es kam zu Streitigkeiten, und etliche kehrten dem Werk Gottes den Rücken. Nach dem Heimgang von Apostel Menkhoff verstärkten sich diese Strömungen, die Unruhe in die Gemeinden brachten. So übernahmen Apostel Krebs und Stammbischof Niehaus kein leichtes Erbe. Sie konnten nicht vermeiden, daß etliche untreu wurden, auch wenn sie jeder Seele nachzugehen suchten. Selbst einige Zeit später herrschten immer noch Unsicherheit und Zweifel in manchen Gemeinden, ob denn wirklich alles der Wille Gottes sei, was Apostel Krebs und die Brüder predigten. Hinzu kam, daß manches falsch verstanden oder von Böswilligen falsch ausgelegt wurde. Wenn beispielsweise der Apostel oder Stammbischof Niehaus davon sprachen, daß in der Bibel das alte Brot von gestern gereicht werde, während das Apostelwort von heute frisches Brot sei, so legten das manche so aus, als ob die Heilige Schrift nichts mehr gelten sollte, was damit keineswegs gemeint war. Schließlich lehrten und taten die Apostel der Endzeit nichts, was im Widerspruch zur Bibel stand. Im Gegenteil. Sie war und blieb die Basis, in der ihr Glaube verankert war. Immer wieder hatten sich die Knechte Gottes damit auseinanderzusetzen, daß ihnen Falsches unterstellt wurde. Doch der härteste Kampf stand Apostel Krebs noch bevor. Die Schwierigkeiten im Rheinland und in Westfalen waren nur der Auftakt dazu. Zuvor allerdings trat der Apostel noch im August 1895 eine vierzehntägige Reise nach Berlin und in die östlichen Provinzen Deutschlands an. Davon soll – stellvertretend für die unzähligen Reisen von Friedrich Krebs, bei denen er ähnliche Anstrengungen auf sich nahm – etwas ausführlicher berichtet werden. Die Sonne brannte vom Himmel und es herrschte eine so drückende Hitze, daß Apostel Krebs und seine Begleiter in diesen Augusttagen während der ganzen Reise mehrmals täglich die Kleidung wechseln mußten. Zehn Gottesdienste hat er in diesen wenigen Tagen gehalten und 278 Seelen versiegelt. Außerdem hat Apostel Krebs auf dieser Reise in den Osten Deutschlands einen Evangelisten, vier Priester, vier Diakone und vier Unterdiakone gesetzt. Insgesamt legte er 2200 Kilometer per Bahn und 80 Kilometer mit verschiedenen Landfuhrwerken zurück und nahm außerdem noch viele, weite Fußwege auf sich, um Geschwister oder Kranke zu besuchen. Aber trotz aller Strapazen war es eine Reise, bei der viel Freude gewirkt wurde. Das geht nicht nur aus den Aufzeichnungen des Bischofs Hallmann, sondern auch aus dem persönlichen Bericht von Apostel Krebs hervor. 69
den Berg ziehen, so würden auch die Dunkelheit vor den Augen und die Krankheit vom Körper dieses Mannes wegziehen, wenn er den Herrn in all seinem Tun bekennen und bezeugen würde. Es wurden, wie es damals üblich war, noch viele andere Kranke vor den Apostel gebracht. Er legte ihnen die Hände auf und betete um Genesung für sie. Solches geschah zu jener Zeit nach fast allen Gottesdiensten. Außerdem findet sich in Bischof Hallmanns Reisebericht regelmäßig die Bemerkung, daß Apostel Krebs in seinen kurzen Ruhepausen, sei es nun spät in der Nacht, sei es früh am Morgen, stundenlang geschrieben habe, um die vielen Briefe zu beantworten, die ihn auch unterwegs erreichten, und, wie der Bischof es ausdrückt, „klaren Wind nach vielen Richtungen hin zu geben". Auf den „klaren Wind" verstand sich Friedrich Krebs. So liebevoll er war, so entschieden konnte er auch reagieren, wenn in einer Gemeinde etwas nicht in Ordnung war. So hatte man dem Apostel einmal in einer Gemeinde vor dem Gottesdienst ein Plakat auf den Altar gelegt mit der Aufschrift: „Wir bitten um Gnade!" Als Apostel Krebs den Altar betrat, wendete er sich an die versammelten Amtsträger und Geschwister mit den Worten: „Diese Gnade bieten wir euch an, aber auch die Gnade, die in der Zucht liegt, wie sie auch einst dem Apostel Paulus wurde, der die Faustschläge des Satans- 70 Engels fühlen mußte und der Herr ihm sagte: ,Laß dir an meiner Gnade genügen!' " Während seiner Weiterreise zog Apostel Krebs sich eine schwere Erkältung zu. Er fühlte sich matt und krank, war zudem heiser, aber das hinderte ihn nicht daran, den festgelegten Gottesdienstplan einzuhalten. Als er und Bischof Hallman auf dem Bahnhof des kleinen Ortes Herbig nach Filehne in Ostpreußen umsteigen mußten und die Zeit bis zur Weiterfahrt im Wartesaal verbrachten, wandte sich der Gastwirt des Bahnhofs an den Bischof und fragte, während er den Apostel besorgt musterte: „Sagen Sie, was ist mit diesem Herrn? Er sieht ja so elend aus." Am nächsten Abend — der Apostel hatte trotz seines schlechten Befindens zwei Gottesdienste, einen davon mit Heiliger Versiegelung, in Filehne gehalten, wobei diese viel länger dauerten als heute, oft mehr als vier Stunden! — gelangten die Gottesknechte nach Schneidemühl. Apostel Krebs wollte von dort aus gleich nach Junien weiterreisen, das an der damaligen Grenze zum russischen Zarenreich lag. Das wären noch einmal 17 Stunden Fahrt gewesen. Doch da widersprach Bischof Hallmann aus Sorge um ihn ganz energisch. Ein paar Stunden Schlaf in einem Gasthof waren dringend nötig, wenn der Kranke nicht zusammenbrechen sollte. Um halb neun Uhr abends legten die beiden Gottesmänner sich zu Bett. Es war trotzdem nur
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eine kurze Nachtruhe, von der sie sich bereits wieder um zwei Uhr erheben mußten, um den Schnellzug nach Junien zu erreichen, aber die kurze Ruhepause hatte Fritz Krebs dennoch wohlgetan und etwas gestärkt. In Junien fanden die beiden Reisenden liebevolle Aufnahme bei Bruder Marzinsky, dem Vorsteher der dortigen über hundert Mitglieder umfassenden Gemeinde. Viele Geschwister wohnten verstreut und hatten den weiten Anmarschweg nicht gescheut; es waren welche darunter, die die ganze Nacht hindurch unterwegs gewesen waren, um den Apostel zu sehen und zu hören. Gesungen und gebetet wurde in Deutsch, Polnisch und auch Litauisch, worüber Apostel Krebs sich besonders freute, sehnte er sich doch danach, daß sich das Werk Gottes überall, unter allen Sprachen und in allen Nationen, ausbreitete. So begab er sich auch zur russischen Grenze und betete dort besonders inbrünstig darum, daß sich in diesem großen Reich ebenfalls Seelen finden ließen, die der liebe Gott zu seinem Volk berufen hatte. STREITROSS FÜR DEN HERRN JESUS Er selbst hat sich einmal als „Streitroß für den Herrn Jesus" bezeichnet und stets darum gekämpft, alle Geisteshindernisse zu fühlen, um, wie er es ausdrückte, „mit dem Reiter Jesus über alle Hecken und Zäune dieser Hindernisse siegreich hinwegzusetzen". In Junien fühlte sich der Apostel unter den Brüdern und Geschwistern sehr wohl. Meist waren es Landarbeiter, die von April bis Oktober von fünf Uhr morgens bis Sonnenuntergang bei einem Lohn von einer Mark bis zu einer Mark zwanzig pro Tag auf den Feldern beschäftigt waren. „Welche Opferwilligkeit ist aber vorhanden!" schrieb Apostel Krebs darüber. „Mit Gewalt haben die lieben Geschwister dem lieben Bruder Hallmann zu den Reisekosten etwas beigesteuert, um dadurch den Kanal zu dem Segen Gottes öffnen zu wollen. Unter welchen Anstrengungen in der doch knapp bemessenen Ruhezeit suchen die lieben Geschwister für ihr Seelenheil zu sorgen, an anderen Herzen zu wirken und sich in der Gemeinschaft erbauen zu können ... Von diesem Feuer der erweckten Liebe zu Jesu wird man oftmals beschämt ... Wieviel Bedürfnisse haben wir im Putzen und sonstigen Sachen, die alle schwer zu befriedigen sind, um so mehr die Not allgemein und groß wird. Sind wir imstande, in solchen Verhältnissen auch so viel zum Bau des Werkes Gottes zu geben, das doch in trübseliger Zeit ausgeführt werden soll? Oh, was kostet uns dieser oder jener Götze der Zeit, wogegen für das Reich Gottes wenig und dann noch mit Unwillen getan wird!" Die nächste Reisestation war Königsberg, wo einige Geschwister lebten, aber noch keine Gemeinde bestand. Der Apostel und Bischof Hall-mann wurden von den Geschwistern Romeyke bereits am Bahnhof empfangen und liebevoll bewirtet. Allerdings war die Wohnung zu klein, als daß die Gäste dort hätten übernachten können. 72
So erkundigte man sich zunächst nach einer billigen Unterkunft, die auch gefunden wurde. Sie war allerdings nicht besonders einladend. Doch das kümmerte die beiden Gottesknechte nicht. Bei Bruder Romeyke wurde dann das Heilige Abendmahl gefeiert, nachdem der Apostel zuvor eine lebhafte Diskussion über Glaubensfragen mit dem ältesten Sohn geführt hatte. Dieser versuchte, alles verstandesmäßig zu zerpflücken, doch Apostel Krebs blieb ihm keine Antwort schuldig, so daß der junge Mann schließlich aufbrach, um in seine eigene Wohnung heimzukehren. Der jüngere Sohn der Romeykes hingegen war dem Wort Gottes gegenüber aufgeschlossen, so daß dieser Abend dann doch noch einen gesegneten Abschluß fand. Weitere Reisestationen waren Mohrungen, wo der Apostel eine kleine Gemeinde gründen konnte, Küstrin und Strausberg, und dann ging es nach Berlin zurück. Abends um acht fand noch einmal ein Gottesdienst in der Gemeinde Berlin I statt, zu dem sich auch die Amtsträger der beiden anderen Berliner Gemeinden mit vielen Geschwistern eingefunden hatten. In Junien hatte der Apostel für Rußland gebetet – und an jenem Abend fand er die erste Seele aus diesem riesigen Land. Es war ein älterer Herr aus St. Petersburg, der dort sowie in Moskau und Warschau Vorstand 73
eines Jünglingsvereins war. In St. Petersburg gab es noch eine apostolische Gemeinde der alten Ordnung, und der Mann erzählte dem Apostel, daß er mit deren Bischof gut bekannt sei. Vor dem Gottesdienst bat er den Apostel um die Heilige Versiegelung. Friedrich Krebs spürte, daß er es ehrlich meinte, sagte aber dennoch, daß dieser Schritt für ihn als gutem Bekannten eines Bischofs der alten Ordnung vielleicht gefährlich sei; deren Feindschaft sei leider immer noch groß. Und vor allem fände er es bedenklich; Kinder in die Welt zu setzen, die man nachher nicht ernähren könne. Damit meinte er die fehlende geistliche und seelische Versorgung dieses Mannes, der in seine Heimat zurückkehrte und dort auf sich allein gestellt war, ohne die Unterstützung von apostolischen Amtsträgern und ohne die Sakramente aus dem Apostelamt. Aber der Mann erwiderte: „Ich war am ersten Sonntag Ihres Hierseins in der Kirche und habe mich von allem überzeugt. Außerdem bitte ich um Händeauflegung, ich habe ein Halsleiden." Der Apostel nickte ernst. „Das liegt ganz an Ihrem Glauben." So gehörte dieser Mann zu denjenigen, die am Ende des Gottesdienstes versiegelt wurden. Er war so überwältigt von der empfangenen Gnade, daß er dem Herrn unter Tränen öffentlich dafür dankte. 74 Am 23. August war Apostel Krebs wieder in Wolfenbüttel, aber nur, um sich, wie es seine Art war, ganz kurz auszuruhen und zu stärken. Dann begab er sich auf die nächste Reise. Im Jahre 1895 feierte er zum letzten Mal seinen Geburtstag in Wolfenbüttel, denn Anfang Oktober verzog er mit seiner Frau und seiner Tochter Clara nach Braunschweig. Die anderen Kinder der Eheleute Krebs waren zu diesem Zeitpunkt bereits außer Haus. Ein Sohn, Willy, war Telegrafen-Leitungsaufseher, der andere, Otto, Oberlehrer von Beruf. Die drei Töchter Bertha, Anna und Mathilde hatten geheiratet. Zwanzig Jahre vor diesem Umzug war bereits durch eine Weissagung verheißen worden, daß in Braunschweig eine glänzende Säule aufgerichtet
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werden würde, die in vielen Ländern gesehen werden sollte. Jetzt, wo Friedrich Krebs Bahnmeister a. D. war, sollte dies in Erfüllung gehen. Die neue Wohnung der Familie Krebs befand sich in der Braunschweiger Hedwigstraße 13 in der ersten Etage. Am Tag ihres Einzugs, dem 13. September 1895, hielt noch ein zweiter Möbelwagen vor dem Haus, denn auch die Parterrewohnung sollte neue Mieter bekommen: den Diakon Otto Steinweg mit den Seinen. Otto Steinweg hatte drei Jahre zuvor auf Einladung seiner beiden älteren Schwestern zum ersten Mal einen Gottesdienst der apostolischen Gemeinde besucht. Sein damaliges Kommen, das den Geschwistern bereits angekündigt worden war, hatte ein wenig Aufregung hervorgerufen. „Heute müßt ihr vorn einen Platz freihalten, wir bekommen ganz hohen Besuch", hatte es geheißen, „es kommt ein Beamter." Das war damals tatsächlich etwas Besonderes, waren die anderen Gemeindemitglieder doch zumeist Handwerker, Arbeiter oder Hausangestellte. Der Oberpostsekretär Otto Steinweg war ein gläubiger Mensch, doch an die Wirksamkeit der Apostel vermochte er nicht sogleich zu glauben. Aber der liebe Gott hatte Großes mit ihm vor, und deshalb zog er ihn zu sich. Der Winter in jenem Jahr war kalt, und wie es damals üblich war, wurden die Wasserleitungen in den Wohnungen zugedreht, um ein Einfrieren zu verhindern. Wer Wasser brauchte, mußte es sich am Hauptanschluß im Keller holen. Eines Abends begab sich Otto Steinweg noch dort hinunter, mit einem Eimer und einer Petroleumlampe versehen. Als er die dunkle Kellertreppe hinabsteigen wollte, stolperte er über einen auf der obersten Stufe liegenden Hund und stürzte die ganze steile Stiege hinunter. Benommen stand er wieder auf und stellte erleichtert und gleichzeitig verwundert fest, daß er sich bei dem gefährlichen Sturz offenbar nichts gebrochen hatte. Doch am nächsten Tag war sein linker Fuß so stark geschwollen, daß er kaum noch gehen konnte. Wenige Tage später verfärbte sich das Bein und wurde schwarz, trotz der Behandlung mit allerlei Hausmitteln. Jetzt suchte Otto Steinweg endlich seinen Arzt auf, der eine Bänderzerrung diagnostizierte und einige Wochen strikte Bettruhe verordnete. Auf dem Krankenlager bekam der achtundzwanzigjährige junge Mann und Familienvater nun viel Zeit zum Nachdenken. Das, was seine Schwestern ihm vom Werk Gottes erzählt und was er selbst in jenem Gottesdienst erfahren hatte, den er besucht hatte, ging ihm wieder und wieder durch den Sinn. Es ließ ihn einfach nicht mehr los, und so begann er, in der Bibel nachzuforschen, um Hinweise auf das zu finden, was ihm gesagt worden war. Dabei wurde Otto Steinweg klar, daß tatsächlich stimmen mußte, was die Apostolischen glaubten. Schließlich sprach er mit seiner Frau darüber. Aus lauter Freude über seinen offenbaren Sinneswandel brach sie in Tränen aus. Sie selbst hatte sich schon lange gewünscht, mit ihren Schwägerinnen gemeinsam die Gottesdienste zu besuchen, doch das entschiedene Nein ihres Mannes hatte sie davon abgehalten. 76
So geschah es auch. Mehr noch! Aus der guten Nachbarschaft entwickelten sich eine enge Zusammenarbeit für das Werk Gottes und ein freundschaftlicher persönlicher Kontakt. Bei Otto Steinweg, der bald darauf zum Priester ordiniert wurde, fanden in der Folgezeit viele wichtige Zusammenkünfte und Besprechungen statt. Er selbst hat das erste Kirchenbuch der Gemeinde Braunschweig angelegt und noch vieles andere freudig für seinen Apostel getan. Otto Steinweg verfügte über eine besondere prophetische Gabe, so daß er schließlich von Apostel Krebs zum Propheten berufen wurde. In dieser Eigenschaft begleitete er ihn häufig auf seinen Reisen oder fuhr sogar einige Tage zuvor ab, um alles für das Kommen des Apostels vorzubereiten. Im Familienkreis der Steinwegs war Friedrich Krebs ein häufiger und lieber Gast. Ilse und Elfriede Steinweg, die beiden Töchter, nannten den Apostel ,Onkel'; oft haben sie auf seinem Schoß gesessen, wenn er in der Steinwegschen Wohnung weilte. Immer wenn er von einer seiner vielen Reisen zurückkehrte, legte er für die beiden Mädchen eine Tüte Bonbons auf das Brett des Flurfensters. Selbst am Heiligen Abend hat Apostel Krebs manche Stunde bei den Geschwistern Steinweg verbracht und sich dort wohl gefühlt. Das waren Stunden des Atemholens für Friedrich Krebs, wo er unter Gleichgesinnten sein durfte. 76
I Der ,Herold' wurde deswegen nicht eingestellt, sondern als Beilage den ,Wächterstimmen' hinzugefügt. In letzteren erschienen vorwiegend Beiträge, die das Glaubensleben und die Vereinheitlichung der Apostellehre fördern sollten, während der ,Herold' nach wie vor Gottesdienst- und Reiseberichte brachte, außerdem regelmäßig eine Statistik, die aufzeigte, daß das Werk Gottes in allen Erdteilen allmählich Fuß faßte und sich weiterentwickelte. ARBEIT AN DER EINHEIT DER APOSTEL Zum Ende des Jahres 1895 brach ein schmerzlicher Schlag über das Volk Gottes herein. Apostel Friedrich Wilhelm Schwartz ging am 6. Dezember im Alter von fast 81 Jahren heim. Was dieser treue und so hochbegabte, kluge Mann für das Werk Gottes getan hat, läßt sich in Zahlen nicht messen. Genau wie Apostel Preuß hat er unter schwersten Bedingungen gearbeitet, gerungen und gekämpft. Und genau wie jener hat er am Ende seines Lebens miterleben müssen, daß das, was ihm so sehr am Herzen lag, nämlich die Einheit der Apostel und des Gottesvolkes, durch Eigensucht, Geltungsbedürfnis und falsche Lehren ins Wanken geriet. In seinen letzten Lebenstagen hat Apostel Schwartz oft gesagt: „Ich arbeite jeden Tag an der Einheit der Apostel; am meisten bin ich eins im Geiste mit dem geliebten Apostel Krebs." Apostel Schwartz wußte: Das ist einer, der einen ungebrochenen Löwenmut besitzt und unerschrocken allen Widerwärtigkeiten entgegentritt. Er kannte auch den Weitblick und die Gabe dieses Apostels, die Geister zu unterscheiden. Menschenfurcht war Fritz Krebs fremd, und so war er der rechte Mann, um das fortzuführen und durch alle Schwierigkeiten hindurchzubringen, was er, Apostel Schwartz, angestrebt und aufgebaut hatte. Für Friedrich Krebs gab es in allen Entscheidungen seiner Amtstätigkeit eine klare Linie, die jeden,Zweifel ausschloß, denn, so hat er es einmal in Worte gefaßt: „Wo der Herr als das Licht und das Leben sich offenbart, kommt immer ein Entweder — Oder zum Vorschein." Die verhängnisvolle Entwicklung, die sich im Stamm Juda, wie die holländischen Gemeinden genannt wurden, schon zu Lebzeiten des Apostels Schwartz abzeichnete, hatte die gleichen Ursachen wie-im Rheinland und in Westfalen einige Zeit zuvor. Auch in Holland war es zu Zwistigkeiten der Amtsträger untereinander und sogar mit dem Apostel gekommen. Das Feuer schürten wiederum einige anmaßende Propheten, die ihre Stellung über der der Apostel angesiedelt sehen wollten. So konnte es geschehen, daß zu guter Letzt sogar Amtsbrüder sich dazu berufen fühlten, die Geschicke des Werkes Gottes mitzubestimmen. Nicht selten kam es vor, daß solche ,Parlamentarier' 78 während der Gottesdienste, die der Apostel hielt, Zwischenbemerkungen machten oder sogar den Apostel wegen seiner Worte nach Beendigung des Dienstes zur Rechenschaft zu ziehen versuchten. Leider stand ein Großteil der Gemeindemitglieder auf ihrer Seite. Das hatte Apostel Schwartz viel Kummer bereitet, aber dank seiner liebevollen Geduld und dem innigen Wunsch, alle Anvertrauten zu behalten, schaffte er es jedesmal, daß es nicht zu einer offenen Abkehr dieser Brüder und Geschwister kam. Doch ihm war klar gewesen, daß nach seinem Tod der Bruch mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu vermeiden wäre. Um das Allerschlimmste zu verhindern, hatte er deshalb ein – wie er es nannte – Konzept, im Grunde aber ein Testament entworfen, in dem er sich an seine Mitapostel wandte und die schlimmen Zustände aufdeckte. Außerdem enthielt dieses Testament ganz klare Aussagen, wie es nach seinem Tode weitergehen sollte. Im Anhang dieses Vermächtnisses, das er noch zu Lebzeiten an seine Mitstreiter verschickte, hatte Apostel Schwartz hinzugefügt: „Meine lieben Mitapostel! Der alte Löwe in Juda hat viele Erfahrungen gesammelt und daher beschlossen, zur Vermeidung von noch mehr traurigen Dingen eine lehrsame und feststehende Grenze für unsere Nachkömmlinge zu ziehen. Diese soll durch uns als Apostel für das ganze Werk gelten." Es waren Verfügungen, die Anweisungen enthielten, wie es vor allem in Holland nach seinem Heimgang weitergehen sollte, aber auch die immer wiederkehrende Ermahnung zu Einigkeit und Liebe untereinander und der einheitlichen Ausrichtung des Glaubens. Zum Begräbnis des Apostels Schwartz waren die Apostel Krebs und Ruff mit Stammbischof Niehaus nach Holland gekommen. Friedrich Krebs wußte, was der Heimgegangene gewünscht hatte: daß er, Apostel Krebs, den hinterlassenen Bezirk betreute, bis der liebe Gott einen neuen Apostel für die Niederlande geben würde. Daran wollte Apostel Krebs sich halten, auch wenn er ahnte, wie groß die Schwierigkeiten angesichts der bestehenden Verhältnisse waren. In Holland bestanden zu dieser Zeit sieben Gemeinden – in Amsterdam, Enkhuizen, Ijmuiden, Haarlem, Den Helder, Hoorn und Wolvega. Insgesamt dürften ihnen etwa tausend Geschwister angehört haben. „Wir leben und sterben für Juda!" sagte Apostel Krebs in einem der Gottesdienste, die nach der Beerdigung des Apostels Schwartz stattfanden. Aber das war ein Wort, das nicht allen paßte. Apostel Krebs spürte das sehr wohl, und es tat ihm weh. Trotzdem führte er durch, was er für richtig erachtete. Er ordinierte den bisherigen Bischof Jakob Kofman, von dem er wußte, daß er treu und aufrichtig war, zum Stammbischof für die Niederlande und ordnete an, daß nach Ablauf des Trauerjahres um Apostel Schwartz, nämlich im Januar 1897, dem lieben Gott die Frage nach einem neuen Apostel für Juda vorgelegt werden sollte. Etliche der holländischen Amtsträger und Propheten sowie die Geschwister, die mit ihnen eines Sinnes waren, waren damit nicht einverstanden. Sie hatten, solange Apostel Schwartz lebte, der eine besondere Geltung unter seinen Mitaposteln besaß, sich eingebildet, der Stamm Juda müsse nun für alle Zeit der führende unter den Stämmen des Gottesvolkes sein. Daß nun Apostel Krebs in die Fußstapfen von Apostel Schwartz trat und bereits eine ähnliche Wertschätzung wie der Heimgegangene unter den anderen Aposteln genoß, gefiel ihnen nicht. Auch Stammbischof Kof-man paßte ihnen nicht ins Konzept, weil sie wußten, daß er ihre Vorstellungen von der Gleichstellung der Propheten, Bischöfe und Evangelisten mit den Aposteln nicht teilte. 80 Im Juli des Trauerjahres um Apostel Schwartz traf Friedrich Krebs mit Hermann Niehaus, den er einen Monat zuvor zum Apostel des Stammes Isaschar – also Rheinland und Westfalen – ausgesondert hatte, von Hamburg kommend, wiederum in Amsterdam ein. Auch da geschah noch nichts, was auf einen baldigen Bruch hätte schließen lassen, wenngleich die beiden Apostel sehr wohl spürten, daß sie gegen einen großen geistigen Widerstand ankämpfen mußten. Um so mehr waren sie für die herzliche Verbundenheit mit Stammbischof Kofman dankbar, der den Getreuen in den Gemeinden ein wahrhaftiger Vorangänger war. Auch im Leid bewährte sich dieser Gottesknecht, denn eine seiner Töchter war schwer erkrankt; es gab keine Hilfe mehr für sie. Als die beiden deutschen Apostel die Familie in ihrem Enkhuizener Heim besuchten, beteten sie für die Kranke, sie möge sanft und schmerzlos heimgehen. So geschah es denn auch. Für Jakob Kofman und seine Angehörigen war es dennoch ein schmerzliches Loslassen – wie immer, wenn man einen geliebten Menschen in die jenseitige Welt abgeben muß. Doch sie trugen es mit großer Tapferkeit und fügten sich in Gottes Willen. Auf der Rückreise aus Holland statteten die Apostel Krebs und Niehaus noch der Gemeinde in Ruhrort einen Besuch ab. Das war eine große, aufstrebende Gemeinde, denn durch die eifrige Zeugenarbeit kamen an jedem Sonntag immer mehr Geschwister und Gäste aus Essen, Bochum, Gelsenkirchen, Herne und anderen Städten des Ruhrgebietes zusammen. In der Regel handelte es sich um arme Leute, denen es schon schwerfiel, das Reisegeld zu den Gottesdiensten aufzubringen. Anschließend noch in einem Gasthof essen zu gehen, hätte ihre finanziellen Mittel überstiegen. Da waren nun die Ruhrorter Geschwister gefordert, die Angereisten zu beköstigen; auch für sie manches Mal eine große finanzielle Belastung, denn zehn oder zwanzig Gäste am Tisch waren keine Seltenheit an solchen Tagen. Aber der Älteste Cordruwisch, ein treuer Glaubensbruder seit den Anfangstagen des Werkes Gottes in Westfalen, und seine Frau waren den Ruhrorter Geschwistern darin ein großes Vorbild. Auch die Apostel Krebs und Niehaus kehrten gern bei der Familie Cordruwisch ein, nachdem einiges an Vorbehalten ausgeräumt worden war. 81
Das war so gekommen: Der Älteste Cordruwisch stimmte zwar aus vollem Herzen dem Wunsch von Apostel Krebs und Hermann Niehaus zu, das Werk Gottes weiterhin tatkräftig auszubauen. Doch er hatte seinen Apostel Menkhoff sehr geliebt und mochte sich nicht so rasch an einen neuen Apostel gewöhnen. Bereits im Jahr 1895 war nach dem Heimgang des Apostels Menkhoff klar zutage getreten, daß Apostel Krebs derjenige war, dem Gott die Führung seines Werkes anvertrauen wollte. Die anderen Apostel erkannten das auch voll an. Aber der Alteste Cordruwisch konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß das Werk Gottes unter einem Oberhaupt zusammengefaßt werden sollte. „Das kommt mir zu päpstlich vor", sagte er, und als eines Tages Apostel Krebs nach Westfalen kam, um in Bielefeld einen Gottesdienst zu halten, schickte er den Evangelisten Meuser erst einmal dorthin, um sich anzuhören, was der Apostel zu sagen hatte. Der Evangelist Meuser kam nach Ruhrort zurück und erstattete seinem Altesten Bericht. Stirnrunzelnd hörte sich Bruder Cordruwisch die begeisterten Schilderungen an. Evangelist Meuser wußte gar nicht genug zu rühmen, was er in dem Bielefelder Gottesdienst und bei den nachfolgenden Zusammenkünften von Apostel Krebs gehört hatte. Schließlich meinte der Alteste: „Du ,Krebsianer', weißt du auch, daß Krebse rückwärts gehen?" Er hatte aufrichtige Bedenken, die gewiß auch Apostel Krebs bekannt waren. Aber da er wußte, was für ein treuer Gottesknecht der Bruder Cordruwisch war, der sich zudem nie nach menschlicher Anerkennung gedrängt hatte, nahm er ihm das nicht übel. Wer immer gleich „Hosianna" ruft, ohne recht geprüft zu haben, bei dem liegt das „Kreuziget ihn" oft bedenklich nahe. 82
Eines Tages sagte Apostel Krebs seinen Besuch in Ruhrort an. Das löste Erwartung, Neugier, aber auch Bestürzung aus. Alle vom Altesten Cordruwisch eingeladenen Amtsträger und Geschwister sahen voller Spannung dem Tag entgegen. Den Apostel Krebs begleitete Hermann Niehaus. Beide Apostel dienten den Versammelten, deren Herzen tief berührt wurden. Von nun an hatte der Alteste Cordruwisch begriffen, daß Apostel Krebs keine neue, sondern eine uralte Wahrheit verkündigte: „Heute, so ihr seine Stimme höret ..." Die Einheit unter allen Aposteln war die Grundlage, auf der das Werk Gottes weiterhin gedeihen konnte. Um sie festzumachen, bedurfte es eines Mannes wie Friedrich Krebs, dessen Eifer und Liebe alle mitriß. „Vorwärts in Jesu Namen!" so rief er immer wieder seinen Brüdern zu und ging ihnen dabei voran. In der Nachfolge zum Sohn Gottes legte er den Anvertrauten ins Herz, was ihn ganz erfüllte: „Mit den Aposteln dem Einen, dem Herrn, nachfolgen, läßt uns mit ihm alles ererben." So war Friedrich Krebs vom Jahr 1895 an das Haupt der Apostel, wenn auch die Bezeichnung Stammapostel in diesem Sinn erst später allgemein gebräuchlich wurde. Er war der Erste unter seinen Mitaposteln geworden, so wie Petrus vom Herrn Jesus den Auftrag erhalten hatte, die Lämmer und Schafe Christi zu weiden. Ihm, dem Apostel Petrus, hatte der Herr, herausgehoben aus allen übrigen Aposteln, des Himmelreichs Schlüssel gegeben und ihn damit zum sichtbaren Haupt seiner Kirche gemacht. Hätte es in der Schlußkirche anders sein sollen? Stammapostel Krebs hat sich nie zu diesem hohen Amt gedrängt. Doch Gott bestätigte vielfältig, daß er dazu ausersehen war. Am 13. Dezember 1896 diente Apostel Niehaus der Gemeinde Amsterdam und spürte die Ablehnung, die ihm unterschwellig entgegenschlug. Am folgenden Tag rief Apostel Niehaus die Amtsträger zusammen, um durch ein offenes Gespräch alle Mißstände auszuräumen. Jeder der Anwesenden erhielt die Möglichkeit, sich zu äußern. Die Gegner der Apostel Krebs und Niehaus behaupteten nun, daß die meisten der holländischen apostolischen Christen der Ansicht seien, das Werk Gottes werde von Deutschland aus untergraben: Die Einsetzung von Amtsträgern sei in letzter Zeit ohne vorherige prophetische Berufung erfolgt und die deutschen Apostel würden das Zeugnis der Bibel als „Heu und Stoppeln" bezeichnen. Der Anlaß für diese Behauptung war ein Beitrag in der Zeitschrift „Wächterstimmen aus Ephraim". Darin hatte Apostel Krebs geschrieben: „Und ihr, Hirten, wacht über die Herde, die euch anvertraut ist. Und legt den Schafen nicht eure eigenen Meinungen und Ansichten als Futter vor, sondern reicht ihnen das zeitgemäße Wort Gottes. Nur dann weidet ihr die Schafe auf grüner Weide. Gebt ihnen nicht das minderwertige Futter aus alter Zeit, sondern das frische Grün von heute. Auch gebt den Schafen frisches Wasser, kein abgestandenes Pumpwasser, sondern lebendiges Brunnenwasser. Das alte, schlecht riechende Wasser bekommt man von den faulen und trägen Hirten." Die Widersacher von Apostel Krebs sahen darin einen Gegensatz zwischen dem Wort der Apostel und dem Wort der Heiligen Schrift, das angeblich abgewertet würde. Das war damit jedoch nicht gemeint. 83
84 Während dieser Ämterversammlung gelang es Hermann Niehaus, die Argumente der Gegner zu entkräften. Am Ende schien es so, als wären wieder Ruhe und Frieden eingekehrt. Bei einer nachfolgenden Zusammenkunft entschuldigte sich sogar einer der Aufwiegler für die verursachten Unruhen bei Apostel Niehaus. Aber kaum war der Apostel weg, brach das Widerstreben von neuem mit Macht hervor, vor allem durch Diakone. Und dann kam der Januar 1897. Apostel Krebs wollte nach Amsterdam reisen in der Hoffnung, daß ein neuer Apostel für die Niederlande berufen werden würde. Ihn begleiteten die Apostel Niehaus und Ruff, der Apostelhelfer Sebastian, die Bischöfe Hallmann und Wachmann, die Ältesten Bornemann und Weerth und weitere Amtsträger. – Die Widersacher von Vater Krebs wurden nun tätig. Am 7. Januar hatten sie einen Plan ersonnen, den sie auch ausführten. Stammbischof Kofman, ähnlich sanftmütig und liebevoll wie der heimgegangene Apostel Schwartz wußte davon nichts. Er hatte am 13. Januar im Hinblick auf den für die Niederlande so bedeutungsvollen Gottesdienst eine Gebetsstunde anberaumt. Dabei ergriff ein Diakon, Martinus van Bemmel aus Amsterdam, Führer der Oppositionellen, das Wort und drohte den Propheten des Stammes Juda: „Wenn einer der Freunde von Krebs zum Apostel der Niederlande berufen wird, nehme ich ihn nicht an." Diese Atmosphäre umfing Vater Krebs mit seinen Begleitern, als er am 15. Januar in Amsterdam eintraf. Ein Teilnehmer des Gottesdienstes am 17. Januar beschrieb die Ereignisse folgendermaßen: „Die Behandlung Jesu in den von ihm gegebenen Aposteln an diesem Tag ist nicht wiederzugeben. Doch jeder Augenzeuge, der die apostolische Wahrheit kennt, konnte die ungöttlichen Zustände leicht erkennen. Was wird aus einem Haus, in dem die Dienstboten sich als Herren aufspielen! Es war sicherlich kein Zufall, daß in diesem Berufungsdienst durch den Propheten der Amsterdamer Gemeinde der Diakon Martinus van Bemmel zum Apostel von Juda gerufen wurde ... Der Gerufene diente am Abend der Gemeinde Amsterdam, nachdem er durch den Hirten und einen Diakon bestätigt worden und ihm durch den ersteren ein Platz als Apostel angewiesen worden war. Darauf ersuchte er die mit anwesenden deutschen Apostel aufzustehen und fragte sie, ob sie ihm folgen wollten, um im Geiste des entschlafenen Apostels Schwartz zu arbeiten. Apostel Krebs antwortete im Namen der deutschen Apostel: ,So lange Sie in dem Geist des großen Apostels unseres Bekenntnisses stehen, egal, ob er so heißt oder anderes, das heißt, solange Sie in der Wahrheit stehen, sind wir verpflichtet, einander zu helfen, und wenn Sie so weiterarbeiten wollen, dann sagen wir dazu ja"' Die großen Vorbehalte aus Vater Krebs' Antwort an Martinus van Bemmel verflüchtigten sich auch nicht, als dieser, zufrieden über seinen „Erfolg", bat, sich unter die leitende und schützende Hand des Apostel Krebs stellen zu dürfen. Tief bedrückt reiste Apostel Krebs mit seinen Begleitern ab. Er litt darunter, daß er diese Ereignisse nicht hatte verhindern können. Jeden Tag gedachte er im Gebet besonders der holländischen Geschwister. 85
Aber die Verhältnisse in den holländischen Gemeinden wurden immer ärger. Martinus van Bemmel drohte allen, die die Einheit im Werk Gottes unter Vater Krebs' Hand erhalten wollten, mit dem Ausschluß. Natürlich blieben Apostel Krebs diese Machenschaften nicht verborgen, und so entschloß er sich nunmehr zu durchgreifenden Maßnahmen. In einem offiziellen Schreiben vom 28. Februar 1897 teilte er Martinus van Bemmel die Enthebung aus dem Apostelamt mit. Aber dieser Mann hatte es verstanden, viele auf seine Seite zu ziehen. Der größte Teil der Amsterdamer Gemeinde hielt zu ihm. Die Abgefallenen nannten sich von da an „Hersteld Apostolische Zendingsgemeente", während die treu Gebliebenen, die sich um Stammbischof Kofman scharten, zur Unterscheidung den Namen „Hersteld Apostolische Zendingsgemeente en de Eenheid der Apostelen en Nederland and Kolonien" annahmen. Große Probleme kamen zunächst auf die kleine zurückgebliebene Schar zu, denn die Abtrünnigen meldeten ihre Ansprüche auf die Versammlungsstätten und alle Einrichtungsgegenstände an. So mußten unsere Geschwister sich ein anderes Kirchenlokal suchen, das zunächst in einem gemieteten Saal, später in einer nicht mehr genutzten reformierten Kirche gefunden wurde. Vier Wochen später allerdings verwandelte der liebe Gott die Niedergeschlagenheit der Getreuen in Freude, denn die Apostel Krebs und Niehaus kamen erneut zu ihnen. In Not und Sorgen schließt man sich fester zusammen und arbeitet gemeinsam daran, die Situation zu verbessern. So hielten es auch die holländischen Brüder und Geschwister. Es wurde viel gebetet und viel Zeugnis gebracht, um die so schmerzlich empfundenen Lücken zu schließen. So konnte Vater Krebs bei seinem Besuch im März 1897 sogar drei neue Gemeinden gründen, und zwar in Groningen, Nijmwegen und Enschede. Schon in dem Trauerjahr nach dem Tod von Apostel Schwartz waren viele Geschwister hinzugekommen, und die Zahl der Verlangenden wuchs nach der Trennung ständig, denn die Liebe untereinander, das Wort Gottes und das Festhalten an der reinen Apostellehre zog viele in die Gemeinden. Das geistige Leben konnte sich nun frei und ungehindert entfalten, und bei jedem Besuch konnten die Apostel Krebs oder Niehaus neu hinzugekommene Seelen versiegeln und Amtsträger einsetzen. Und dann kam jener 11. Juni 1898, an dem die Apostel Krebs, Niehaus und Ruff in Begleitung verschiedener deutscher Amtsbrüder wiederum nach Amsterdam reisten. Am 12. war Gottesdienst in dem festlich geschmückten Kirchenlokal. Es war der Tag, an dem der Herr seinen Kindern in Holland einen Apostel nach seinem Willen geben wollte. Apostel Krebs eröffnete den Gottesdienst und rief dann Apostel Niehaus an den Altar. Dieser sagte unter anderem: „Wir sind nicht gekommen, um unsere eigene Ehre zu suchen, wohl aber die Ehre unseres Senders Jesus Christus. Paulus sagte seinerzeit: Wir haben von euch nichts begehrt. Und auch wir, die Apostel des Herrn, können dies zu den Gotteskindern in Juda sagen. Auch wir haben nie einen Pfennig von euch begehrt oder gefordert. So sind wir auch heute nicht als Herrscher über euch gekommen, 86
Hände auf und ordinierte ihn zum Apostel des Stammes Juda (Niederlande) und nahm ihn in den Ring der Aposteleinheit auf. Es war ein Tag der Freude für alle, die gekommen waren, und diese Freude setzte sich fort, denn in den folgenden Tagen dienten die Apostel in den anderen niederländischen Gemeinden. Überall wurden auch Heilige Versiegelung gehalten und neue Amtsgaben gesetzt. Zwei Brüder erhielten den Reisesegen; der eine wollte nach Argentinien, der andere nach Niederländisch-Indien gehen, um auch dort das Evangelium Christi zu verkündigen und Zeugnis zu bringen. Als Friedrich Krebs nach Hause zurückkehrte, war er sehr dankbar. Die dunklen Wolken, die so lange über den holländischen Gotteskindern gelegen hatten, waren gebannt. Viele Weissagungen hatten bestätigt, daß Jakob Kofman der vom Herrn ausersehene Apostel war. Unter seiner Führung würde der Stamm Juda gesegnet sein und vielleicht auch noch der eine oder andere der Abgefallenen zurückkehren. Vater Krebs ging es ja um jede Seele, und am liebsten wäre er jeder einzelnen nachgegangen, um sie wieder zurechtzubringen. Er persönlich hatte viele Demütigungen und Schmähungen erfahren. So hatte man öffentlich in der Kirche erklärt, Gott habe verheißen, ihn, 87 Friedrich Krebs, zu vernichten, ebenso Hermann Niehaus und alle, die ihnen nachfolgten. Er selbst werde ins Gefängnis gesetzt, darin verzweifeln und sich das Leben nehmen.So viel Haß und Verblendung hatten wehgetan, aber der Herr hatte seinen Knecht erleben lassen, daß er mit ihm war. Und nur dies war es, was letztlich zählte. VORWÄRTS IN JESU NAMEN Als Führer des Werkes Gottes hat Friedrich Krebs acht Apostel eingesetzt. Es waren dies Hermann Niehaus, Ernst Traugott Hallmann (für Ostpreußen und Berlin), Jakob Kofman (Niederlande), Friedrich Wachmann (für Norddeutschland und Schweden) Wilhelm Sebastian (für Braunschweig, später auch für Norddeutschland und Sachsen), Friedrich Mierau (für Nordamerika), Sietse Faber (für Argentinien) und Heinrich Borne-mann (für Westfalen und das Rheinland). Unter diesen Männern war keiner, der in Friedrich Krebs nicht seinen Vorangänger gesehen hätte, seinen Stammapostel, wie wir heute sagen würden. Er legte in der innigen Verbindung mit seinem Sender Jesus den Kurs fest, den das Volk Gottes gehen sollte, er wachte darüber, daß überall einheitlich die wahrhaftige Jesulehre verkündigt wurde, er war das sichtbare Haupt der Kirche Christi geworden. Daß dies wirklich der Wille Gottes war, wird allein schon durch den gewaltigen Aufschwung bezeugt, den die Gemeinden überall von 1895 an nahmen. Um all die Seelen zu bedienen, bedurfte es vieler neuer Amtsträger und auch weiterer Apostel, von denen einige im Ausland ausgesondert wurden. Es waren dies die Apostel Sadrach und Jacobs (für Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien) sowie Hoekstra, der vor Apostel Mierau zwei Jahre in den USA wirkte. In Südafrika arbeitete bereits seit 1890 der Farmer Carl Klibbe, von Apostel Niemeyer in Australien zunächst zum Evangelisten, drei Jahre später zum Apostel ordiniert, um auf dem afrikanischen Kontinent das Werk Gottes zu begründen. Dort konnte Carl Klibbe in East London eine Gemeinde von siebzig Seelen ins Leben rufen. Zu ihnen gehörte Georg Heinrich Wilhelm Schlaphoff, der nach seiner Versiegelung als Evangelist nach Kapstadt gesandt wurde. In vorbildlichem Glaubensgehorsam erfüllte Bruder Schlaphoff diesen Auftrag, brach seine Zelte in East London ab und siedelte in das 1200 Kilometer entfernte Kapstadt über. Mit großer Freude empfing Apostel Krebs jedesmal die Berichte aus dem europäischen Ausland und anderen Erdteilen. Besonders in Indonesien hatte sich das Werk Gottes ausgebreitet. Dieses Land war bis Ende des Zweiten Weltkrieges holländisches Kolonialgebiet. Die nach dem Tod des Apostels Lim Tjoe Kim dort wirkenden Apostel Hannibals und Sadrach waren deshalb Apostel Kofman unterstellt. Durch ihn erfuhr Vater Krebs, wie treu die dortigen Geschwister und Brüder zusammenstanden. 88
Apostel Sadrach war ursprünglich Missionar gewesen und mit 5000 seiner Anhänger zum Werk Gottes gekommen. Nach seiner Einsetzung zum Apostel wurde er beim dortigen Residenten von Gegnern seines Glaubens übel verleumdet. Der hohe holländische Staatsbeamte, der die Funktion eines Gouverneurs innehatte, hatte Apostel Sadrach daraufhin ins Gefängnis werfen lassen und die Altesten der apostolischen Gemeinden aufgefordert, sich von ihm loszusagen. Die 110 Männer hatten ohne Zögern erklärt: „Wir folgen Sadrach bis in den Tod." Bald darauf war der Apostel wieder frei; die Anklagen seiner Widersacher hatten sich als falsch erwiesen. 110 Älteste – das sagt schon etwas aus über die große Zahl der indonesischen Geschwister in jenen Jahren. Und noch immer kamen viele Hunderte hinzu. Da wird Friedrich Krebs manchmal gedacht haben: Ach, Vater im Himmel, warum geht es hier nicht so rasch voran! Trotzdem resignierte er nicht. „Vorwärts in Jesu Namen!" galt immer noch für ihn und die, die er aussandte, um Zeugnis zu bringen. Und er selbst war ebenfalls unermüdlich unterwegs, um die Gemeinden zu bedienen, da und dort, wo etwas nicht in Ordnung war, auch mal mit einem reinigenden Gewitter dazwischenzufahren, Versiegelungsarbeit zu leisten und seine Mitapostel und Brüder zu stärken. 89 In seinem Braunschweiger Heim war er nur selten anzutreffen, um sich ein paar Tage auszuruhen und mit seinem Freund und Bruder Otto Steinweg, dem Apostelhelfer Wilhelm Sebastian und anderen Amtsträgern die anfallende Verwaltungsarbeit ebenso zu erledigen wie neue Vorhaben in die Tat umzusetzen. Der Schluß eines Reiseberichtes aus jener Zeit kennzeichnet sehr treffend den Einsatz von Vater Krebs. Da heißt es nämlich: „Am Abend reiste der liebe Apostel nach Braunschweig zurück, seinem Wohnsitze, obwohl seine irdische Heimat auf der Reise ist." In der Chronik der Gemeinde Velbert ist eine Begegnung verzeichnet, die bezeugt, wie der Heilige Geist im Stammapostel wirkte: Ein Fremder hatte Zeugnis vom Erlösungswerk der Endzeit erhalten und darauf geantwortet: „Ich will erst einen lebenden Apostel sehen, eher komme ich nicht!" Nunmehr hatte sich Vater Krebs für die Gemeinde Velbert angemeldet. Die Brüder standen auf dem Bahnsteig, um den Apostel zu empfangen. Der Fremde stand etwas entfernt auf „Beobachtungs-Posten". Die Abteiltür öffnete sich, Stammapostel Krebs stieg aus und ging, die Brüder stehen lassend, direkt auf den Fremden zu und sagte: „Sie wollten einen lebenden Apostel sehen, jetzt steht einer vor ihnen!" Der Stammapostel hatte vor dieser Begegnung keine Kenntnis von dem, was der Fremde gefordert hatte.
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Gern wäre Stammapostel Krebs auch einmal in die USA gefahren, wohin er nach dem Abfall des Apostels Hoppe zunächst einen Priester namens Kohlhage gesandt hatte, um die kleine New Yorker Gemeinde zu bedienen. Später war der holländische Apostel Hoekstra in die Staaten geschickt worden, doch auch er hatte sich nicht bewährt. Anfänglich wirkte dieser in New York, zog dann aber weiter nach Buffalo. Nur zwei Jahre war er in Nordamerika tätig, dann kehrte er nach Europa zurück und suchte Verbindung zu denen, die die Aposteleinheit verlassen hatten. So betete der Stammapostel lange um einen Apostel für Nordamerika und der liebe Gott gab ihn schließlich in Friedrich Eduard Mierau. Doch dies geschah erst im Jahre 1901, und bis dahin waren die Geschwister jenseits des „großen Teiches" nur unzulänglich versorgt. Deshalb wäre Friedrich Krebs gern zu ihnen gekommen, aber eine monatelange Abwesenheit aus Deutschland, wo die Zentrale des apostolischen Werkes war und alle Fäden zusammenliefen, erschien ihm denn doch nicht ratsam. Statt dessen sandte er Apostel Ruff nach New York, der von den dortigen Geschwistern mit großer Herzlichkeit empfangen wurde. Bei einem von ihm gehaltenen Gottesdienst stand auch eine deutsche Einwandererfamilie vor dem Altar, um den Heiligen Geist zu empfangen. Sie stammte aus Württemberg, und ihr Name war Fendt. Einer der Söhne, der vierjährige John Peter, hatte bis dahin mit seinem Bruder Charles die Sonntagsschule in ,Pastor Hoppe's Church' besucht. Jener Pastor Hoppe aber war niemand anderer als der untreu gewor-, dene einstige Apostel, der nun in einer deutschen Absplitterung von der apostolischen Gemeinde, die unter der Leitung von Heinrich Geyer entstanden war, als Seelsorger arbeitete. Später wurde John Peter Fendt selbst ein Apostel Jesu, der in seiner neuen Heimat Amerika in großem Segen wirkte. Apostel Ruff reiste ein Jahr später noch einmal im Auftrag des Stammapostels Krebs in die USA und brachte nach seiner Rückkehr eine höchst vergnügliche Geschichte mit. Heinrich Ferdinand Hoppe hatte, als er sich der evangelisch-lutherischen Kirche anschloß, die Bänke, Abendmahlsgeräte und andere Einrich- 91 tungsgegenstände der
apostolischen Gemeinde einfach mitgenommen. Dies hatte Bruder Fendt, der
Vater von John Peter und Charles, eines Tages erfahren, und da er nicht
nur ein ehrlicher, sondern auch sehr couragierter Mann war, machte er
sich kurzerhand auf den Weg zu ,Pastor Hoppe's Church', lud alles, was
Eigentum seiner Geschwister war, auf einen Wagen und brachte es in das
Versammlungslokal der apostolischen Gemeinde zurück. Auf Grund seines beherzten Auftretens wagte niemand, ihn daran zu hindern. Später wurde Vater Fendt Priester in der New Yorker Gemeinde. In diesem Amt hat er lange Jahre treu gedient. ,Pastor' Hoppe aber verschwand nach dem Zusammentreffen mit Vater Fendt sehr bald aus seiner Kirche, und die Geschwister hörten nie mehr etwas von ihm. Solche Geschichten wie die von dem zurückgeholten Eigentum der New Yorker Geschwister hörte Vater Krebs gern, entsprachen sie doch seiner eigenen geradlinigen und humorvollen Art. Trotz des tiefen Ernstes, mit dem er seinen Auftrag als Apostel Jesu erfüllte, war er doch ein Mensch, der auch von Herzen fröhlich sein konnte. Doch dies ist ja ohnehin ein Merkmal der Gotteskinder, die sich von ihrem Vater im Himmel geliebt und beschützt wissen. Diese Erkenntnis vermag bei uns allen selbst die dunkelsten Stunden zu erhellen. Und dunkle Stunden gab es nach wie vor im Leben von Friedrich Krebs. Da war zum Beispiel jener Abend im Jahr 1897 in Cronenberg, einem kleinen Ort in der Nähe von Wuppertal. Die Apostel Krebs und Niehaus beabsichtigten, mit einigen Amtsbrüdern den dort lebenden Geschwistern einen Besuch abzustatten. Diese hatten früher der reformierten Kirche angehört. Der Besuch der beiden Apostel hatte sich herumgesprochen. Und als im Haus der Geschwister eine Hausandacht in kleinerem Kreis abgehalten werden sollte, erschienen plötzlich zwei Geistliche der Landeskirche, einige Lehrer und eine große Schar Neugieriger, so daß das Haus voller Menschen war und viele, die drinnen keinen Platz mehr gefunden hatten, auf der Straße standen. Die Apostel hielten dennoch eine kurze biblische Betrachtung ab über das Wort aus Johannes 3, Vers 11: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und zeugen, was wir gesehen haben, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an." Es wurde dabei auch auf Nikodemus Bezug genommen, zu dem der Herr Jesus gesagt hatte, daß er nicht in das Reich Gottes kommen könne, wenn er nicht von neuem aus Wasser und Geist geboren würde. Die Geistlichen ärgerten sich besonders über die ihnen inzwischen längst bekannte Tatsache, daß die apostolischen Christen an die Sendung der Apostel glaubten. Es entwickelte sich darauf eine Diskussion, in der Vater Krebs und Apostel Niehaus auf die Bibel hinwiesen, in der zu lesen stehe, daß die Kirche Christi durch Apostel zur Vollendung geführt werden müsse. Gott habe etliche zu Aposteln gesetzt, etliche zu Propheten, und dadurch solle 92
93 der Leib Christi, die Gemeinde, erbaut werden, bis alle hinankämen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes. Einer der Geistlichen behauptete daraufhin, er sei ebenfalls ein Apostel. Mit einer schwungvollen Armbewegung wies er auf seine Begleiter: „Und dies ist meine Herde!" Daraufhin erhob sich ein allgemeines zustimmendes Gejohle, das sich noch steigerte, als nun die Geistlichen triumphierend das Haus verließen in dem Bewußtsein, es den ,falschen Aposteln' ordentlich gegeben zu haben. Die Schar ihrer Gesinnungsgenossen aber blieb vor dem Haus und lärmte und johlte weiter. Für Apostel Krebs und seine Begleitung wurde es Zeit, zur Bahnstation zu gehen, wenn sie ihren Zug nicht verpassen wollten. Also machten die Gottesknechte sich trotz der Randalierer auf den Weg. Etwa zwanzig Minuten hatten sie zu gehen, und ihre Widersacher verfolgten sie. Sie bewarfen die Apostel und Brüder mit Schnee, Eis, Erde und Steinen — was ihnen gerade in die Hände kam — stießen sie zu Boden und zerrissen ihnen die Kleidung. Erst im Bahnhofsrestaurant, das sie blutend und übel zugerichtet erreichten, fanden sie Ruhe vor dem Pöbel. Notdürftig gesäubert bestiegen sie ihren Zug. Während der wilden Verfolgungsjagd war aber kein Wort über die Lippen der Gottesknechte gekommen, kein Fluch, keine Schmähung. Sie hatten alles schweigend und ohne Gegenwehr hingenommen ... DER ERSTE UNTER DEN APOSTELN Der allmächtige Gott aber, um dessentwillen sie unschuldig hatten leiden müssen, lohnte ihnen ihre Geduld und Treue. Er schenkte Vater Krebs und seinen Brüdern oft genug frohe, segensreiche Stunden in seinem Hause — so wie in Holland bei der Amtseinsetzung des Apostels Kofman oder schon 1897 auf dem inzwischen berühmt gewordenen Pfingstfest in Berlin, das für die apostolischen Christen eine ganz besondere Bedeutung erlangte, weil dabei eindeutig auf die Notwendigkeit des Stammapostelamtes hingewiesen worden war. „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir", war das Textwort, das Apostel Krebs nach dem Eingangsgebet den zweitausend Geschwistern vorgelesen hatte, die in einem großen, festlich geschmückten Saal zusammengekommen waren. Mit ihm waren die Apostel Niehaus, Ruff und Obst gekommen, ebenso viele Brüder aus dem Rheinland, Westfalen, Holland, Sachsen und Ostpreußen. Apostel Niehaus wurde dann von Apostel Krebs aufgefordert, die Predigt zu halten, in der er besonders die Einheit hervorhob, die durch dieses Gebot gefordert würde. „Gott will", sagte er, „daß alle Herzen und Augen auf ihn, den Einen, Wahrhaftigen, gerichtet sein sollen, der keine Nebengötter duldet. So wurde das Volk Israel, zu welchem zuerst diese Worte gesprochen wur- 94
„Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde", heißt es im 23. Psalm. Diese Tatsache hatte Stammapostel Krebs in jenen Pfingsttagen erleben dürfen. Ein Jahr später, ebenfalls zu Pfingsten, war Stammapostel Krebs wieder in Berlin. Er zählte nun 66 Jahre, und obwohl er sich einer ungebrochenen Vitalität erfreute, war er doch bestrebt, für den Fall seines Heimgangs • seine Nachfolge zu regeln, damit nicht alles, was er geschaffen hatte, bei einem plötzlichen, unerwarteten Tod in Gefahr geriet, wie es in Holland nach dem Hinscheiden von Apostel Schwartz geschehen war. Wieder und wieder hatte der Stammapostel gebetet und gerungen, der himmlische Vater möge ihm doch den Mann zeigen, der das Werk Gottes nach ihm führen sollte. Dabei war er jedesmal auf Hermann Niehaus gelenkt worden, der in den letzten Jahren so manchen Sturm mit Vater Krebs gemeinsam erlebt und bestanden hatte. Und so fragte er ihn an jenem Pfingstmorgen vor der versammelten Gemeinde, ob er bereit sei, nach seinem Tod an seine Stelle zu treten. Apostel Niehaus erschrak. Wie sollte er imstande sein, Stammapostel Krebs jemals zu ersetzen? Gab es keinen anderen, der würdiger und geeig- 95
neter war? Und überhaupt – Friedrich Krebs erfreute sich doch bester Gesundheit! Warum also überhaupt jetzt schon einen Nachfolger bestimmen? Aber die anderen anwesenden Apostel waren einmütig der Meinung des Stammapostels. Hermann Niehaus und kein anderer sollte, wenn Friedrich Krebs einmal nicht mehr war, ihr Vorangänger werden. Und so gab Apostel Niehaus schließlich zitternd und voller Furcht vor der Verantwortung, die da auf seine Schultern gelegt werden sollte, sein Jawort. Dabei tröstete er sich im stillen mit dem Gedanken, daß Stammapostel Krebs gewiß noch lange leben und Großes im Werk Gottes tun werde. Es war übrigens derselbe Gottesdienst, in dem die Bischöfe Wachmann und Sebastian zu Apostelhelfern ordiniert wurden. Da nun die Frage seiner Nachfolge geregelt war, konzentrierte Stammapostel Krebs sich wieder ganz auf den Ausbau und die innere Festigung des Werkes Gottes. Sein Tag hätte gut und gern 48 Stunden haben können, um überall dorthin zu reisen, wo Seelen auf die Heilige Versiegelung warteten, wo Zeugnis gebracht, in den Gemeinden das Glaubensleben vertieft und die Brüder für ihre Arbeit gestärkt werden mußten. Er hatte viele von ihnen ausgesandt, um Menschen zu finden, die noch nach dem zeitgemäßen Wort Gottes fragten, und überall ging der gute Same auf, manchmal unter Mühsal und Anfeindungen, manchmal auch ein wenig leichter. Alljährlich berief der Stammapostel inzwischen Apostelversammlungen ein. Da wurden Anliegen besprochen, Entscheidungen getroffen und vor allem Festgottesdienste gehalten, zu denen die Geschwister aus nah und fern zusammenströmten. Im Januar 1898 hatte er nach Absprache mit seinen Mitaposteln auch festgelegt, wie zukünftig den Entschlafenen das Abendmahl zu reichen sei. Ihm als Stammapostel war es ein besonderes Anliegen, die Spendung der Sakramente für die Entschlafenen im gesamten Werk Gottes einheitlich zu regeln, denn er war sich bewußt, daß sein Auftrag, dem Herrn eine geschmückte Braut zuzuführen, sich auch auf die Seelen aus jener Welt erstreckte. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Abendmahl den versiegelten und ins Jenseits gegangenen Seelen dreimal jährlich gespendet worden. Jetzt führte Vater Krebs ein, ihnen das Heilige Abendmal allsonntäglich zu geben. Zwar sollte dies jedesmal durch einen Apostel geschehen, dem es aber freigestellt war, damit auch Bischöfe oder Älteste zu beauftragen. Der älteste Diakon und die älteste Diakonissin (dieses Amt gab es damals noch in den Gemeinden; es trugen Frauen, die besonders mit der Fürsorge für andere Geschwister und der Krankenpflege beauftragt waren) der jeweiligen Gemeinde sollten das Abendmahl, nachdem sie es erst für sich genossen hatten, ein zweitesmal für die entschlafenen Versiegelten gespendet bekommen mit den Worten: „Ihr entschlafenen heiligen Geister, nehmt hin den Leib und das Blut Jesu, Eures Erlösers, zum Leben. Amen." 96
In seinem Rundschreiben wies Vater Krebs aber auch eindringlich auf die notwendige Versiegelungsarbeit an den unerlösten Seelen in der jenseitigen Welt hin. Er schrieb dazu: „Es gibt nichts Klareres aus der Heiligen Schrift zu entnehmen, als daß wir mit denen im Totenreiche in Verbindung stehen und da vom Altar im Fleische aus wirken sollen." In einem Rundschreiben für die Amtsträger vom Februar 1898, das viele wertvolle Hinweise und Glaubensstärkungen enthielt, schrieb der Stammapostel in bezug auf die notwendige Einheit unter Brüdern und Geschwistern: „Ist es schon schwer, daß zwei eins werden, es sei denn in Jesu Namen und Taten, um ... Friede und Freude im Heiligen Geist zum Vorschein zu bringen, so ist es schwerer, eine Gemeinde in der Einigkeit, noch schwerer, verschiedene Gemeinden in einem Bezirke zu solcher Einheit zu bringen, noch schwerer, alle Gemeinden in einem Stamm zu der Einheit ... zu bringen, und viel schwerer, alle Stämme in den einen Jesus zu bringen und zu erhalten, woraus erst die Herrlichkeit hervorkommt und dadurch der Welt der Beweis geliefert wird, daß Jesus Gottes Sohn sei, geoffenbart im sündigen Fleische, worauf auch Jesus seine Kirche ... erst bauen kann." Ende Februar 1898 reiste Stammapostel Krebs wieder in den Berliner Bezirk. Dabei wurden in knapp fünf Tagen 265 Seelen versiegelt, zwei Diakone und sieben Unterdiakone eingesetzt. Ende April wurde Stammapostel Krebs mit großer Freude von Apostel Obst in Breslau willkommen geheißen. Gemeinsam mit ihm besuchte er die schlesischen Geschwister und reiste dann nach Sachsen, wo er mit seinem treuen Helfer Sebastian zusammentraf. Im Königreich Sachsen mußten die apostolischen Gemeinden viele Jahre um ihre staatliche Anerkennung bei den zuständigen Behörden kämpfen. Ähnlich wie Anfang der sechziger Jahre in Hannover, bedurften gottesdienstähnliche Versammlungen dort immer noch der polizeilichen Genehmigung. Wurde sie erteilt, war es keine Seltenheit, daß ein Beamter zur Überwachung anwesend sein mußte, um zu kontrollieren, was die Apostolischen in ihren Versammlungen predigten. Besonders die Heilige Versiegelung galt als ungesetzlich, solange die zu Versiegelnden noch nicht aus ihrer Kirche ausgetreten waren. Letzteres war in jener Zeit nämlich noch keine Bedingung für die Spendung des Heiligen Geistes. Die offizielle Aufnahme in die apostolische Gemeinde galt erst dann als vollzogen, wenn der Austritt aus der Landeskirche geschehen war und sich die jeweiligen Geschwister als Mitglieder der apostolischen Gemeinde hatten einschreiben lassen. So hätte es also durchaus geschehen können, daß Vater Krebs, wenn er einen Gottesdienst mit Heiliger Versiegelung in Sachsen hielt, mit den dortigen Gesetzen in Konflikt geraten wäre. Er berichtete darüber in seiner humorvollen Art: „Dienstag wurde früh nach Görlitz gefahren, wo Dienst gehalten und Mittags Abschied genommen wurde, wonach ich dann alleine nach mei- 98 nem Stamm im Sächsischen fuhr, wo ich da den lieben Bruder und Sebastian vorfand, der auch am 30. 4. nach Dresden und Gersdort gelelfer und alles gut vorbereitet hatte, besonders unter Beachtung der Staahren setze es so schön geregelt hatte, daß der Hauptdienst (gemeint ist atsgescheinlich die Heilige Versiegelung) von mir schon ausgeführt war, e wahr- polizeilich angemeldete Dienst um sieben Uhr begann, wozu denn ai e der Gemeinderatsmitglied zur Überwachung eintraf. Die Befürchtung da h ein Apostel belangt und eingesperrt werden könnte, hat den lieben $ I3 der Sebastian getrieben, die größte Vorsicht anzuwenden; sonst es ihzh ndermüssen."ichts glatt abgelaufen wäre, falls er ohne denselben hätte he1mk lo chAber solches konnte Vater Krebs nicht schrecken, wußte er doc er im Auftrag Gottes handelte und ihm deshalb nur das geschehen ko, daß was der Herr zuließ. nnte,Darum fuhr er auch am Abend von Gersdorf mit einer Drosch die Grenze nach Osterreich, wo ebenfalls noch keine Glaubens. und über sammlungsfreiheit herrschte, um in der kleinen Stadt Rumburg in e Ver- Privathaus Gottesdienst mit Heiliger Versiegelung zu halten. Danach lnem er sich schon lange von Herzen gesehnt. Er hatte junge Brüder nach hatte gesandt mit dem Auftrag, dort Weinbergsarbeit zu leisten, aber Wien ihnen bisher kein Erfolg in der österreichischen Hauptstadt beseh, War gewesen. Doch an jenem Abend in Rumburg empfand er Hoffnung und
Zuversicht, daß eines Tages auch in der großen Donaumonarchie blühende apostolische Gemeinden entstünden. Das Jahr war ausgefüllt mit weiteren Reisen — in die Schweiz, nach Bayern, ins Vogtland und wieder nach Sachsen und Thüringen. Das Zuhause von Vater Krebs war wirklich in diesen Jahren überwiegend die Eisenbahn; selbst am ersten Weihnachtsfeiertag hielt er schon wieder Gottesdienst in Berlin. Er war bereits in aller Frühe mit dem Apostelhelfer Sebastian und Priester Steinweg aus Braunschweig dorthin abgereist. Im folgenden Jahr war es nicht anders; unermüdlich war der Stammapostel unterwegs, und der liebe Gott legte auf alle Arbeit und alles Mühen seinen Segen. Dann kam die Jahrhundertwende. Das 19. Jahrhundert nahm seinen Abschied, das 20. begann. Nahezu 19 Jahre wirkte Friedrich Krebs nun im Apostelamt, fünf davon als Stammapostel. Und ganz gewiß wird er in den Stunden der Zeitenwende dankbar Rückschau auf das Erreichte gehalten haben. Menschen, Ereignisse, Glaubenserlebnisse zogen an seinem inneren Auge vorüber, Schönes und Schweres. Aber wenn man das Fazit zog, so überwog doch das Schöne: all die Gnadentaten Gottes, die Gründung vieler neuer Gemeinden, das Wachstum der bestehenden, neue Amtsgaben und vor allem die Einheit des apostolischen Werkes, für die Stammapostel Krebs seine besten Kräfte eingesetzt hatte. Wie armselig und kümmerlich waren die Anfänge gewesen und wie beglückend der vom Herrn gesegnete Aufbau. Er hatte sich wahrlich zu seinen Knechten bekannt und Wunder seiner Gnade geschehen lassen. Die Gnade des Allerhöchsten war es, der sich Friedrich Krebs immer wieder rühmte; sie machten ihn fähig für die hohe und verantwortungsvolle Aufgabe, die ihm übertragen war. „Es muß fortlaufend Gnade an uns tätig sein", so führte er einmal aus, „damit wir in der Erkenntnis der eigenen Schwäche als Hilfesuchende imstande sind, das Wort Gottes anzunehmen. Wo diese Erkenntnis nicht vorhanden ist, empfangen wir nichts, halten wir nichts fest, und es findet sich Gleichgültigkeit." Voller Dankbarkeit wird Vater Krebs in diesen Stunden des Rückblicks auch an seine Weggenossen gedacht haben, die ihn bis hierher begleiteten und unterstützten. Da war zunächst einmal Hermann Niehaus, der seinen Bezirk, den Stamm Isaschar, in schwerer Zeit übernommen hatte. Da war der Bischof Heinrich Bornemann, der Apostel Niehaus aufopferungsvoll zur Seite stand. Vater Krebs kannte diesen treuen Gottesknecht gut, der schon im Jahr 1895 die Zeitschrift ,Der Herold' wieder hatte aufleben lassen. Er arbeitete nicht nur als verantwortlicher Redakteur dafür, sondern übernahm mit der Iserlohner Jugend auch die Verpackung und den Versand. Apostel Menkhoff hatte Heinrich Bornemann ins Evangelistenamt gesetzt und ihm das Bergische Land als Arbeitsfeld anvertraut, in dem es seinerzeit noch keine Gotteskinder gab. Der damals 25jährige Krankenpfleger folgte dem Auftrag seines Apostels, ohne zu zögern. Er gab seine bishe- 100 rige Arbeitsstelle auf und suchte sich in seinem neuen Aufgabengebiet eine andere. Nach seiner Hochzeit mit Marie Pirags, der ältesten Tochter der Familie, die als erste im Bergischen Land versiegelt werden konnte, verzog Bruder Bornemann in die Nähe von Hagen und hielt fortan in seiner Wohnung Gottesdienste. Ein Jahr später hieß es nach Iserlohn übersiedeln, weil dort eine Gemeinde gegründet werden sollte. Hier fand Bruder Bornemann keine Arbeit in seinem erlernten Beruf, sondern mußte sich als Tagelöhner verdingen. Seine Frau besserte das kärgliche Einkommen auf, indem sie als Waschfrau arbeitete. Trotzdem reichte das Geld manches Mal nicht für das Allernotwendigste, besonders, wenn auswärtige Brüder nach Iserlohn kamen und beköstigt werden mußten. Friedrich Krebs erinnerte sich gut an eine Begebenheit, die Bischof Bornemann in späteren Jahren oft erzählt hat. Als die Not einmal besonders groß war und die Familie Bornemann weder aus noch ein wußte, wurde eines Sonntags zur selben Zeit in den Gemeinden Duisburg-Ruhrort und Bielefeld eine Weissagung laut: „Hebet eure Augen auf nach Iserlohn. Mein Knecht Bornemann schreit nach Brot." Am nächsten Tag kamen drei Briefumschläge mit Geldbeiträgen bei der Familie Bornemann an ... Vor zwei Jahren hatte Vater Krebs in Iserlohn eine Kirche geweiht. Es war der erste Bau in einer neuen Straße, und die Stadtverwaltung überließ es Bischof Bornemann, einen Straßennamen zu wählen. Er entschied sich für
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wurde getrieben, dem Kind die Hände aufzulegen und für seine Genesung zu bitten. Dann kehrte er in den Kirchenraum zurück und setzte den Gottesdienst fort. Als er vorüber war, hatte sich die Schwellung bei dem verunglückten Kind vollkommen zurückgebildet. Es lief herum, als wäre nichts geschehen. Wunder aus Gottes Gnade ... Ach, es gab so viele. Die Gedanken des Stammapostels wanderten zu seinem alten Freund und Mitapostel Ruff. Wie hatte Gott sich auch zu der Arbeit dieses Gottesknechtes und seiner Helfer bekannt! Es gab inzwischen viele Gemeinden in Hessen, Baden und Württemberg. Jahrelang hatte Apostel Ruff fast täglich um entsprechende Zeugen und Amtsgaben gebeten, die das Evangelium vom wiederaufgerichteten Apostelamt in die Städte und Dörfer brachten. Er hatte sie bekommen, meist junge Brüder, die als Handwerksgesellen auf Wanderschaft gingen und denen der Apostel den sogenannten Evangelistensegen spendete. „Mit diesen Männern sage ich dem Teufel den Kampf an!" verkündete er oftmals. Seit einigen Jahren lebte der Apostel in Frankfurt, da die dortige Gemeinde dank der Arbeit des von ihm zunächst in die Mainmetropole entsandten nachmaligen Priesters Schärtlein sehr gewachsen war. Auch die Gotteskinder in Mainz, die bisher nur von zwei Diakonen betreut wurden, hatten dringend eines priesterlichen Amtes bedurft. Deshalb hatte Apostel Ruff bei einem Besuch im Februar 1898 herzlich darum 102 gebetet, der liebe Gott möge ihn doch wissen lassen, wen er für dieses Amt ausersehen habe. In jenem Gottesdienst wurde eine Weissagung ausgesprochen: „Mein Knecht Bischoff, der mir bis zur Stunde treu gedient hat, ist es, den ich erwählt habe." Sogleich hieß Apostel Ruff den jungen Diakon an den Altar treten, ordinierte ihn zum Priester und setzte ihn als Vorsteher der Mainzer Gemeinde. Der Gerufene war J. G. Bischoff, der spätere Stammapostel. In einem anderen Gottesdienst — wo, wissen wir heute nicht mehr —wurde Apostel Ruff getrieben, einer Schwester, deren Arm seit langer Zeit völlig gelähmt war, zu sagen: „Strecke deinen Arm aus zum Zeichen, daß du gesund bist." Daraufhin erlebten alle Anwesenden, wie die Frau danach in der Tat ihren Arm wieder bewegen konnte und geheilt war. So etwas sprach sich natürlich herum und bewirkte, daß immer mehr Menschen in die Gottesdienste kamen und viele blieben. Stammapostel Krebs hat auch oft erzählt, wie die Gemeinde in Ulm entstanden ist. Nach einem Besuch in der Schweiz mußte er dort einen Zwischenaufenthalt einlegen. Da es in Ulm noch keine Gotteskinder gab, schrieb er an Apostel Ruff: „Sende jemand nach Ulm, denn dort ist ein großes Volk." Apostel Ruff zögerte nicht, dieser Bitte Folge zu leisten, und stattete zwei junge Brüder wiederum mit dem Evangelistensegen aus, damit sie nach Ulm zögen. „Am 15. März müssen Sie unbedingt dort sein", sagte er zu ihnen, „denn dort wartet man auf Sie."
er selbst in Wolfenbüttel versiegelt und später in Zürich zum Diakonen gesetzt hatte, war im Auftrag des Apostels Ruff nach Stuttgart gegangen. „Fangen Sie dort das Werk Gottes an", hatte er ihm aufgetragen, nachdem Bruder Prössel, so hieß er, wegen seines Glaubens seine Arbeitstelle im Schwarzwald verloren und den Apostel gefragt hatte, was er nun tun solle. Das war indessen vier Jahre her, in denen es Bruder Prössels eifriger Weinbergsarbeit zu verdanken war, daß es dort inzwischen eine aufstrebende Gemeinde gab. Doch ja, das Werk Gottes wuchs überall — auf dem Lande und in den großen Städten. In Hamburg hatten die Geschwister längst ein eigenes Kirchenlokal bezogen. Es lag im Stadtteil Borgfelde. Apostel Krebs hatte den damaligen Bischof Wachmann gebeten, seinen Wohnsitz nach Hamburg zu verlegen. Daraufhin hatte dieser seine unter großem Fleiß aufgebaute Bäckerei in Lurup seinem Schwiegersohn Max Rögner, der ebenfalls ein treues Gotteskind geworden war, übergeben, und sich in der alten Hansestadt eine neue Existenz aufgebaut. Da die apostolische Kirche im vorigen Jahrhundert noch keine Vereins- oder Körperschaftsrechte besaß, konnte sie kein Grundstück oder Haus erwerben. Als nun in Borgfelde ein größerer Gebäudekomplex zum Verkauf anstand, zu dem auch eine Kirche der Philadelphia-Gemeinde gehörte, von den Hamburgern nach ihrem Erbauer Roggenbrodsche Kapelle genannt, entschloß sich Bischof Wachmann, das Anwesen auf seinen Namen zu kaufen. Er teilte nun das erworbene Gelände in Parzellen auf und errichtet für sich ein Wohnhaus mit Bäckerei. Auf einer anderen Parzelle baute ein Hamburger Diakon ein Mehrfamilienhaus. Für die Geschwister blieb die Kapelle mit dem ehemaligen Pastorat, von einem kleinen Garten umgeben. Apostel Krebs (in der damaligen Literatur erscheint nur selten das Amt „Stammapostel") war häufig in dieser Kirche gewesen, um Gottesdienst zu halten. Nun, da Friedrich Wachmann 1899 zum Apostel ausgesondert worden war, würde er nicht mehr so oft wie vordem in die Hansestadt kommen, aber ans Herz gewachsen waren ihm die Brüder und Geschwister aus den schweren Anfangsjahren schon auf besondere Weise. Auch da hatte der liebe Gott in allen Stürmen geholfen und nicht zugelassen, daß sein Werk unterging. Der Arbeitsbereich von Apostel Wachmann umfaßte inzwischen zwölf Gemeinden mit etwa tausend Mitgliedern. Und es ging immer weiter aufwärts. Auch nach Schweden war inzwischen das Zeugnis gedrungen. Stammapostel Krebs hatte in Hamburg den Bruder Wiesel, einen sehr gebildeten, studierten Mann, der englisch, französisch, griechisch, hebräisch und die nordischen Sprachen sprach, zum Evangelisten ausgesondert und nach Stockholm gesandt. Ein Jahr später kam er mit sechs Männern nach Deutschland, die sich versiegeln lassen wollten. Indessen war Apostel Wachmann selbst nach Schweden gereist, um dort weitere Seelen zu versiegeln und zwei Priester zu setzen. Dies war ein bescheidener Anfang, das wußte Stammapostel Krebs, aber es war ein Anfang. Mit Gottes Hilfe würde es weitergehen! So wie in 104 Kiel und Flensburg, in Bremen und Niedersachsen, Anhalt und Mecklenburg, in Thüringen, Bayern, Sachsen und in der Schweiz. Wie es seit langem eine liebe Gewohnheit war, verbrachte Friedrich Krebs die Stunden der Jahrhundertwende nicht nur im Familienkreis, sondern auch bei seinem Freund und Hausgenossen, dem Priester Otto Steinweg und dessen Töchtern. Schwester Steinweg war leider heimgegangen, und so bedurfte die zurückgebliebene kleine Familie besonderen Trostes und liebevoller Zuwendung. Und heute wie damals, wenn Gotteskinder zusammenkommen, wurden Glaubenserlebnisse ausgetauscht und alte Erinnerungen aufgefrischt. Da war zum Beispiel die Geschichte mit dem Zug, der viel zu spät auf dem Braunschweiger Bahnhof einfuhr. Apostel Krebs wollte in einem Ort Gottesdienst halten, aber wegen einer beträchtlichen Verspätung des Zuges wäre er nicht mehr rechtzeitig dort angekommen. Nachdem die Wagen endlich in den Bahnhof gerollt waren, stieg er in ein Abteil, setzte sich und betete. Die Hilfe kam prompt: Vor dem nächsten Bahnhof versagten die Bremsen des Zuges. In für damalige Begriffe angsteinflößendem Tempo raste der Zug dahin, so daß den Mitreisenden angst und bange wurde. Apostel Krebs jedoch blieb ruhig und gelassen, wußte er doch, warum die Bremsen nicht funktionierten. Sie taten es erst wieder, als die Lokomotive in den Zielbahnhof einlief. Die Verspätung war dadurch aufgeholt worden, und die wartende Gemeinde durfte ihren Apostel pünktlich im Versammlungslokal begrüßen. Ein anderes wunderbares Glaubenserlebnis lag erst einige Monate zurück. Vater Krebs hatte es von Apostel Wachmann erfahren. Ein junges Mädchen aus dem mecklenburgischen Dorf Groß-Krams war im vergangenen Jahr so schwer erkrankt, daß eine völlige Lähmung die Folge war. Verwandte, die zu den Hamburger Gotteskindern gehörten, luden die Gelähmte und ihre Eltern zu sich ein. Der Kranken wurde auf einem von Pferden gezogenen Leiterwagen ein Lager errichtet, auf dem sie nach Hamburg gebracht wurde. Bald darauf erfolgte im Haus der Verwandten eine Begegnung mit Apostel Wachmann, der für die Gelähmte betete und ihr die Hände auflegte. Danach besserte sich ihr Zustand so rasch, daß sie bald aus eigener Kraft die Gottesdienste in Hamburg besuchen konnte. Völlig gesund kehrte sie in ihre Heimat zurück. Sie war die erste Seele, die Friedrich Krebs ein Jahr zuvor im Oktober in Mecklenburg hatte versiegeln können. Ihre wunderbare Heilung, von der sie überall berichtete, und ihr Zeugnis von der Wirksamkeit der Apostel brachten weitere Seelen hinzu, so daß sich bald eine kleine Schar Gotteskinder zusammenfand. Wiederum nur ein bescheidener Anfang, durch den aber der Grundstein für eine segensreiche Entwicklung gelegt worden war. Geschwister, die Zeugnis brachten; Amtsträger, die Heimat, Freunde und Verwandte, ja selbst ihre Arbeitsstellen aufgaben, um dem Wunsch des Stammapostels und seiner Mitapostel Folge zu leisten, überall das Werk Gottes aufzurichten — wie viele Opfer da gebracht wurden, kann man heute kaum mehr 105 ermessen. Wir, die wir nun die Früchte ernten dürfen, können nur voller Verehrung und Dankbarkeit an all diese treuen Zeugen denken. Dankbar war auch Vater Krebs für den selbstlosen Glaubensmut seiner Mitstreiter, von den Aposteln bis hin zum jüngsten Unterdiakon. Er kannte sie alle von seinen Reisen her, und es verging kein Tag, an dem er nicht ihrer gedacht hätte. Sie brauchten ja Gottes Schutz auf ihren Wegen, brauchten ständig Trost und Kraft, um ihren Auftrag zu erfüllen. Da war der Priester Kohlhage in New York, der nach der Heimkehr von Apostel Ruff nun wieder allein in der dortigen Gemeinde hinter dem Altar stand. Da waren der Priester Ackermann in Augsburg und Priester Schmidt in München, die trotz behördlicher Repressalien, da im Königreich Bayern noch immer keine Religionsfreiheit herrschte, unerschrocken Zeugnis brachten und Gottesdienste in ihren Privatwohnungen hielten, obwohl das amtlicherseits nicht gestattet war. Da waren die dortigen Geschwister, die sich eng zusammenschlossen und von dem wenigen, was sie besaßen, auch noch für damalige Begriffe hohe Geldstrafen zahlten, weil sie unerlaubterweise Heiliges Abendmahl gefeiert hatten. Friedrich Krebs war vor zwei Jahren in Bayern gewesen und hatte in der Wohnung des Priesters Schmidt, der mit einer Tochter von Apostel Menkhoff verheiratet war, zehn Seelen versiegelt. Auch da ging es also trotz aller Widrigkeiten „vorwärts, aufwärts, himmelan", ebenso wie in Sachsen, in Anhalt und Thüringen. Vor den Augen des Stammapostels wird bei dem Gedanken an die dortigen Gemeinden vor allem das Bild von zwei Männern erstanden sein. Der eine war der inzwischen vom ihm zum Bezirksältesten ordinierte Franz Hübner. Es war derselbe, der vor vielen Jahren als junger SendungsEvangelist von Hamburg nach Amsterdam gereist war und als erstem Wilhelm Menkhoff Zeugnis vom Gnaden- und Apostelamt der Endzeit gebracht hatte. Später war Franz Hübner in seine Heimat Coswig zurückgekehrt und hatte dort begonnen, Seelen zu sammeln. Es war mühsam und schwierig gewesen, und erst 1881 hatte Apostel Krebs dort die ersten Gläubigen versiegeln können. Aber von da an wuchs die kleine Gemeinde; neue Gemeinden entstanden in der Umgebung, und die Geschwister in Coswig verfügten dank der Großzügigkeit eines wohlhabenden Glaubensbruders indessen sogar über eine eigene Kirche. „Was Sie getan haben, werde ich Ihnen im Himmel nicht vergessen!" hat Apostel Krebs einmal zu Franz Hübner gesagt. Angesichts des Eifers und der Treue eines Mannes, der sogar seines Glaubens wegen vor Gericht gestanden hatte, von der Geistlichkeit verklagt, weil er ohne Studium predigte und kirchliche Segenshandlungen vornahm, waren diese Worte berechtigt. Eine Zeitlang waren in Coswig die Gottesdienste deshalb sogar verboten worden, aber Bruder Hübner kämpfte weiter um die staatliche Anerkennung seiner Gemeinde. Zu guter Letzt hatte er sogar vor dem obersten Gerichtshof des Landes in Naumburg erscheinen müssen, wo er vor den Richtern und vielen hohen Würdenträgern der Landeskirche einen flammenden Vortrag über die Wirksamkeit Gottes und seiner Apostel in 106
fuhr in jedem Brief ihres Verlobten, welche Erfüllung er im Haus des Herrn fand. Zwischen den Brautleuten gab es in der Folgezeit viel zu fragen und zu erzählen, und die junge Frau reiste schließlich nach Hamburg, um selbst zu prüfen, was ihrem Heinrich so viel bedeutete. Ein gutes Jahr nach seiner Versiegelung stand auch sie in Hamburg vor dem Altar und empfing durch Apostel Krebs die Geistestaufe. Eine Woche später setzte der Apostel ihren Verlobten ins Priesteramt und beauftragte ihn, in seine thüringische Heimat zurückzukehren, um dort die Botschaft vom Gnaden- und Apostelamt zu verkündigen. Priester Wolf übersiedelte nach Ranis, dem Heimatort seiner Braut. Allerdings hatte Apostel Krebs ihn gebeten, in Berlin noch einen kurzen Aufenthalt einzulegen, um sich dort mit ihm zu treffen und noch einige Instruktionen für seine zukünftige Weinbergsarbeit zu erhalten. Bei dem Gedanken an dieses Wiedersehen in Berlin mußte Vater Krebs jedesmal schmunzeln. Priester Wolf war, sehr ermüdet von der langen Reise in die preußische Hauptstadt, in der Wohnung der Geschwister Hallmann angelangt. Es war schon spät am Abend, doch Apostel Krebs war mit dem damaligen 107
Bäckermeister selbständig. In seiner Wohnung hielt er Gottesdienste. In der ersten Zeit war die einzige Teilnehmerin seine junge Frau. Nur zögernd folgten später einige Gäste den wiederholt vorgebrachten Einladungen, aber schließlich entstand dann doch eine kleine Gemeinde. Apostel Krebs wußte um die Kämpfe und die Geduld der Geschwister Wolf. Ohne zu klagen, ertrugen sie auch die wirtschaftliche Not, die bei ihnen Einzug gehalten hatte. Das Geld, das Heinrich Wolf mit seiner Bäckerei verdiente, reichte oftmals nicht aus, um sich und die Seinen satt zu machen. Manches Mal knieten er und seine Frau voller Sorge nieder und beteten darum, der liebe Gott möge doch das Herz der Händler lenken, daß sie ihnen weiterhin Mehl lieferten, auch wenn die letzte Rechnung noch nicht bezahlt werden konnte. Diese Gebete wurden erhört, denn wenn die Verkäufer dann kamen, sagten sie zu Priester Wolf: „Sorgen Sie sich nur nicht, Sie bekommen auch weiterhin Mehl." Später, die Raniser Gemeinde war nun im Glauben fest zusammengewachsen, ordinierte Apostel Krebs Heinrich Wolf zum Hirten und sandte ihn nach Gera, um auch in dieser Stadt eine Gemeinde zu gründen. So hieß es wieder einmal neu beginnen, aber Heinrich Wolf wäre nie der Gedanke gekommen, dem Apostel ungehorsam zu sein. Jetzt, um die 108 Jahrhundertwende, gab es nicht nur in Gera eine blühende Gemeinde, sondern auch in anderen thüringischen Orten. Vater Krebs' Gedanken schweiften weiter, nach Greiz im Vogtland, wo ebenfalls durch das Zeugnis des Hirten Wolf die erste apostolische Gemeinde entstanden war. Zu ihr gehörte ein junger Diakon, den Apostel Krebs ebenfalls in Wolfenbüttel versiegelt hatte. Friedrich Bock hieß er, und er war ein ebenso eifriger Weinbergsarbeiter wie Bruder Wolf. Bei dem ersten Gottesdienst mit Heiliger Versiegelung, den Apostel Krebs in Greiz hatte halten können, wurden über hundert Seelen Gotteskinder. Als er sich von der Gemeinde verabschiedete, sagte er: „Bei meinem nächsten Besuch möchte ich zweihundert Seelen versiegeln." Für Diakon Bock und seine Brüder war das ein Auftrag, der erfüllt werden mußte. Und siehe da, als Apostel Krebs an Pfingsten 1894 wieder nach Greiz kam, konnte er sogar 250 Seelen versiegeln. Inzwischen lebte Friedrich Bock in der Schweiz. Ein aus Magdeburg stammender Glaubensbruder, Nordmann mit Namen, war im Auftrag von Friedrich Krebs schon im Jahre 1893 nach Süden gewandert und hatte schließlich in Zürich eine Anstellung gefunden. Durch ihn wurden die ersten Gäste eingeladen. Schon ein Jahr später konnte man ein kleines Versammlungslokal anmieten, und Pfingsten 1895 fand dort die erste Versiegelung statt. Zur Unterstützung von Bruder Nordmann hatte Apostel Krebs zunächst den Unterdiakon August Hölzel aus Wolfenbüttel nach Zürich geschickt und bald darauf den inzwischen zum Evangelisten gerufenen Friedrich Bock. Er verließ mit seiner Familie die Heimat und die liebgewordenen vogtländischen Geschwister und setzte die begonnene Aufbauarbeit in der Schweiz fort. Bald entstanden neue Gemeinden in Zofingen, Basel, Winterthur, Schaffhausen und St. Gallen. „Ich weiß, wer mich gesandt hat, und daran wird sich nichts ändern", hat Vater Krebs einmal in einem Gottesdienst gesagt; Worte, deren Wahrheitsgehalt er tausendfach erlebt hat. Gott stand ihm und den Männern, die er zu seinen Knechten berufen hatte, immer und überall zur Seite. Anders wäre es nicht möglich gewesen innerhalb von dreißig, vierzig Jahren so viel Großes zu schaffen. Wie armselig hatte es beispielsweise seinerzeit in Berlin begonnen. Die erste Versammlungsstätte war ein ehemaliger Pferdestall gewesen, ein paar Erwachsene und Kinder bildeten die Gemeinde, als Apostel Krebs von seinem Mitapostel Bösecke gebeten worden war, sich der Seelen anzunehmen. Schon damals war Apostel Hallmann als junger Priester von Schlesien nach Berlin verzogen. Das war ein Mann nach dem Herzen von Apostel Krebs: glaubensstark, freudig in der Zeugenarbeit; Anfechtungen, Spott und andere Schwierigkeiten konnten ihm nichts anhaben. Wenn von den Geschwistern damals nicht genug an Opfergeld zusammengekommen war, um die Miete für das Versammlungslokal bezahlen zu können, versetzte Priester Hallmann kurzerhand seinen Gehrock und diente am Sonntag im Jackett den Versammelten. Kam wieder mehr 109 Opfergeld zusammen, wurde das gute Stück auf der Pfandleihe eingelöst — um todsicher irgendwann später wieder einmal dort zu landen. 1895 hatte Apostel Krebs den Bruder Hallmann als Bischof nach Ostpreußen gesandt. In Königsberg, wo Apostel Hallmann jetzt lebte, war längst eine apostolische Gemeinde entstanden. Ernst Traugott Hallmann reiste viel umher, um die anderen Gemeinden zu bedienen, und auch Apostel Krebs war seit seiner ersten Ostpreußenreise noch einige Male dort gewesen und hatte sich über die Aufwärtsentwicklung in diesem Apostelbezirk von Herzen gefreut. Die größte Sorge in den letzten fünf Jahren hatte freilich den niederländischen Gemeinden gegolten. Vater Krebs hatte sie besucht, so oft es ihm möglich gewesen war, und sich dabei jedesmal von Apostel Niehaus begleiten lassen. Die vielen Gebete um Holland waren erhört worden. Unter der liebevollen Betreuung des Apostels Kofman entwickelten sich die Gemeinden. Zur Zeit seiner Ordinierung hatten elf bestanden, inzwischen waren sechs weitere hinzugekommen, und Stammapostel Krebs hatte bei seinem vorherigen Besuch im Sommer 1899 miterlebt, wie die Geschwister zu ihm und ihrem Apostel standen. Um Geld zu sparen, hatten die Gottesknechte geplant, auf dem Rückweg nach Deutschland mit dem Lokalzug zu fahren. Doch das ließen die holländischen Brüder nicht zu. Sie legten zusammen und bezahlten die Mehrkosten für den D-Zug zweiter Klasse, damit die Apostel nach den vielen anstrengenden Gottesdiensten und Zusammenkünften, durch die sie oftmals nur zwei, drei Stunden Schlaf bekommen hatten, rascher und ein wenig erholter nach Hause reisen konnten. Doch, es war eine beglückende Bilanz, die Stammapostel Krebs in jener Nacht der Jahrhundertwende ziehen konnte. 1862 war der erste Apostel der neuen Ordnung berufen worden — und was war in diesen 38 Jahren geschaffen worden. „Mit Gott", hat man früher auf die erste Seite eines Geschäftsbuches geschrieben, wenn ein neues Jahr begann. Mit Gott — und vorwärts in Jesu Namen, wird er um Mitternacht, als die Braunschweiger Glocken das neue Jahrhundert einläuteten und die Menschen mit Sekt, Musik und Feuerwerk in das Jahr 1900 hinüberfeierten, gedacht haben. Und wie er haben um dieselbe Stunde überall auf der Erde, wo Gottesknechte standen, diese Männer ihre Hände gefaltet und ihrem Vater im Himmel für die erwiesenen Gnadentaten in frohem Zurückschauen gedankt. Trotzdem mußte man wachsam bleiben und ständig darauf achten, daß sich in die Gemeinden kein fremder Geist einschlich. Denn leider konnte es immer noch geschehen, daß unter den Brüdern da und dort Ärgernisse auftraten, doch dann war Vater Krebs jedesmal sehr rasch zur Stelle, um die Wankelmütigen und Unruhestifter wieder zurechtzubringen. Dabei konnte er mit allem Ernst und aller Eindringlichkeit vorgehen, manchmal aber auch in seiner klug-humorigen Art, die ebenso wirkungsvoll war. 110
So hatte er beispielsweise einmal einen Unterdiakon in Sachsen, der ein höheres Amt anstrebte, in einem ernsten Gespräch unter vier Augen befragt, was ihm denn lieber sei: das Amt oder seiner Seele Seligkeit. Bei einer so direkten Frage konnte der Bruder gar nicht anders, als zu antworten: „Meine Seligkeit." Im Gottesdienst rief Apostel Krebs ihn dann an den Altar. „Nun ist hier der liebe Bruder und Unterdiakon, der mir gesagt hat, daß ihm seine Seligkeit lieber sei als das Amt. Somit nehme ich ihm hiermit das Amt wieder ab." Da ging ein großes Erschrecken durch die Gemeinde, und viele brachen sogar in Tränen aus. Vater Krebs aber fuhr fort: „Da er es aber ehrlich meint mit seiner Seligkeit, so lege ich ihm hiermit sein Amt wieder auf." Wer will bezweifeln, daß diese ,Kur' bei dem Bruder und bei anderen, die insgeheim vielleicht ähnliche ehrgeizige Gedanken hegten, gewirkt hat! Vater Krebs verstand es eben auf seine ganz persönliche Art, Ordnung zu schaffen. Er kehrte nichts unter den Tisch, sondern zeigte auf, was ungut und mit dem Willen Gottes nicht vereinbar war, und faßte dabei niemanden mit Samthandschuhen an. Er wußte: Wer im Kleinen untreu ist, der ist es auch im Großen. Aber wer seine Fehler einsah und sie zu beseitigen suchte, der konnte seiner ganzen Liebe sicher sein.
111 Er selbst achtete auf jeden Wink, der ihm vom Geist des Herrn als noch so kleiner Hinweis gegeben werden mochte. So waren er und der Prophet Otto Steinweg einmal bei einem Lokomotivenwechsel in dem Schwarzwaldstädtchen Hornberg aus dem Zug gestiegen und hatten frische Luft auf dem Bahnsteig geschöpft. Vater Krebs beobachtete interessiert, wie die neue Zugmaschine einrangiert wurde, während Otto Steinweg sich auf eine Bank gesetzt hatte. Plötzlich blieb Stammapostel Krebs vor ihm stehen und sagte: „Hier in Hornberg muß eine Gemeinde entstehen, denn der Prophet des Herrn hat sich da niedergelassen." Einige Zeit später hielt er einen Gottesdienst in der Schweiz. Zu den zur Versiegelung kommenden Seelen gehörte auch eine Frau aus Hornberg. Als Stammapostel Krebs das hörte, stutzte er einen Moment, dann wandte er sich an die Brüder, die um ihn standen. „Ist einer unter euch, der nach Hornberg gehen kann?" fragte er ohne Umschweife. Ein Schuhmachergeselle namens Müller meldete sich. Vater Krebs nickte ihm zu. „Ich reise jetzt durch die Schweiz, und dann muß ich noch in einigen anderen Bezirken dienen. Gehen Sie inzwischen nach Hornberg. Sorgen Sie dafür, daß schon verlangende Herzen vorhanden sind." Er deutete auf die soeben versiegelte Glaubensschwester. „Hier haben Sie die erste Seele." Wie versprochen, kam Vater Krebs tatsächlich nach Hornberg, wo Bruder Müller fleißige Vorarbeit geleistet hatte. Zwölf Gäste waren da, um den Stammapostel zu sehen und zu hören, sieben davon wollten die Gotteskindschaft empfangen. „Schön", meinte Vater Krebs, als Bruder Müller ihm das vor dem Gottesdienst berichtete. „Aber ich denke, es sollten wenigstens zwölf sein." Nach dem Gottesdienst rief er die zur Versiegelung bereiteten Seelen an den Altar. Die sieben traten nach vorn, und Stammapostel Krebs richtete zunächst das Wort an sie. Dann jedoch unterbrach er sich, wandte sich an die fünf, die sitzen geblieben waren und fragte: „Nun, was ist denn mit euch?" Da standen auch diese auf und kamen zu ihm. Vater Krebs lächelte zufrieden. „Ich habe doch gesagt, zwölf müssen es sein!" Ein anderes Mal hielt er eines Abends Heilige Versiegelung in Straßburg. Ein junger Soldat, der dort stationiert war, wollte an jenem Abend ebenfalls den Heiligen Geist empfangen. Bernhard Ohler hatte noch einige Kameraden zu diesem Gottesdienst eingeladen. Diese hatten über Nacht Urlaub, er dagegen mußte pünktlich zum Zapfenstreich wieder bei seiner Kompanie sein. Darum war Bernhard Ohler etwas unruhig und bat die anwesenden Brüder, Stammapostel Krebs darauf aufmerksam zu machen, daß er um 22.00 Uhr in der Kaserne sein müsse. Das taten diese auch in der Annahme, der Stammapostel würde den Gottesdienst zeitiger als sonst beenden. Doch Vater Krebs meinte nur: „Er kommt noch hin." Und die Brüder dachten: Wenn Vater Krebs das sagt, dann geht die Sache schon in Ordnung. Zehn Minuten vor zehn wurde das letzte Amen im Versammlungsraum gesprochen. Danach rannte Bruder Ohler, so schnell er konnte, zur 112 Kaserne. Aber er wußte, er würde zu spät kommen, denn der Weg dauerte dreißig Minuten. In dem großen Gebäudekomplex waren zwanzig Kompanien untergebracht. Bruder Ohler gehörte zur siebenten. Jede hatte ihr eigenes Zapfenstreichsignal. Seine Kompanie wäre an siebter Stelle an der Reihe gewesen. Doch an diesem Abend – und nur an diesem – wurde seine Kompanie als letzte von allen zwanzig abgeblasen. So geschah es, daß der junge Soldat gerade noch pünktlich durch das Kasernentor stürmte. Völlig erschöpft fiel er hinterher in seiner Stube atemlos auf das Bett. Jetzt sterbe ich, dachte er, weil ihm regelrecht übel war und sein Herz wie verrückt hämmerte. Aber ich bin versiegelt! Natürlich ist er nicht gestorben, sondern nur ermattet eingeschlafen. Für Friedrich Krebs aber waren solche Erlebnisse, hinter denen das Walten Gottes stand, keine Seltenheit. Wie oft hatte er schon erlebt, wie der himmlische Vater sich zu ihm und seinen Brüdern bekannte. Unreine. Geister zu bannen ... Aus Braunschweig ist eine Geschichte überliefert aus der Zeit, als sich die Geschwister noch in einem Lokal versammelten, das im Volksmund ,Brabandts Gefängnis' hieß. Ein Bürgerhauptmann, Henning von Brabandt, hatte dort in längst vergangener Zeit einmal eingesessen, nachdem er an einer Verschwörung zwischen den Anhängern des Herzogs von Braunschweig und der Hanse teilgenommen hatte, weswegen er schließlich zum Tode verurteilt worden war. Seitdem hieß das alte Gemäuer ,Brabandts Gefängnis'. Der Raum, in dem sich von nun an die Geschwister versammelten, war niedrig und wurde von Öllampen erhellt. Im Sommer war es darin unerträglich heiß und stickig. Um ein wenig Abhilfe zu schaffen, wurde in dieser Jahreszeit vor jedem Gottesdienst Wasser auf den Fußboden geschüttet, das dann etwas Kühlung spendete, den Anwesenden aber oft genug nasse Füße bescherte. Außerdem setzte sich der Ruß der blakenden Lampen auf Haut und Kleidung fest, so daß die Gotteskinder mit schwarzen Gesichtern, Hemden und Blusen aus dem Gottesdienst kamen. Und häufig endeten die damals recht langen Gottesdienste – drei Stunden waren keine Seltenheit – dadurch, daß die Öllampen wegen Sauerstoffmangels erloschen. In ,Brabandts Gefängnis' nun kamen eines Tages zwei junge Männer, die in der ganzen Stadt als Spötter und Randalierer verrufen waren. Die Brüder ahnten Böses, konnten die beiden aber nicht daran hindern, sich zu den versammelten Geschwistern zu setzen. Stammapostel Krebs diente an diesem Tag in der Gemeinde, und es kam erstaunlicherweise zu keiner Störung des Gottesdienstes. Die beiden Spötter saßen stumm und reglos auf ihren Plätzen, obwohl sie ganz gewiß hergekommen waren, um sich durch Zwischenrufe und Schmähungen bemerkbar zu machen. Staunend beobachteten unsere Brüder und Geschwister, wie sie auch nach dem Gottesdienst noch auf ihren Sitzen verharrten, während sich der Raum allmählich leerte. Der Stammapostel stand noch beim Altar. „So", 113
sagte er zu den beiden, als die Geschwister hinausgegangen waren, „jetzt könnt ihr aufstehen und gehen." Da erst war es den Burschen möglich, wieder ihre Glieder zu bewegen, aufzuspringen und hinauszustürmen. Sie hatten den ganzen Gottesdienst über im wahrsten Sinn des Wortes gebannt auf ihren Plätzen bleiben müssen. Von ,Brabandts Gefängnis' war die Braunschweiger Gemeinde inzwischen in ein anderes Lokal umgezogen. Das war die ,Kaffeetwete' in der Breitestraße. Aber auch dort wurde es bald recht eng, denn die Zahl der Geschwister wuchs weiter. In der Kaffeetwete wurde auch der erste Braunschweiger Chor ins Leben gerufen. Initiator war der Bruder Eduard Poche, der vor einigen Jahren aus Böhmen nach Braunschweig gekommen war. Er arbeitete als Klavierbauer in einer dortigen Firma. Als gläubiger junger Mann hatte er schon früher allsonntäglich die Frühmesse in seiner Kirche besucht und sich danach gern in einem nahe gelegenen Waldstück auf eine Bank gesetzt, um sein von daheim mitgebrachtes Frühstück zu verzehren. Eines Tages, es war am Karfreitagmorgen, hatte ihn ein junger Mann angesprochen und Eduard Poche freundlich einen guten Morgen gewünscht mit der Bemerkung: „Es schmeckt Ihnen wohl. Guten Appetit." Eduard Poche nickte. „Wenn man zur Frühmesse gewesen ist, dann schmeckt es." Der andere junge Mann, er hieß Wilhelm Schillinger, setzte sich zu ihm. „Ich gehe auch zum Gottesdienst, aber erst heute nachmittag um drei. Und ich esse vorher." 114 Eduard Poches Interesse war geweckt. Und als Wilhelm Schillinger ihn zum Gottesdienst in die apostolische Gemeinde einlud, sagte er zu. „Sag mal, hast du einen Freund?" fragte unser junger Bruder noch. Und als Eduard das verneinte, lächelte er ihn voller Sympathie an. „Dann bin ich dein Freund!" So saßen die beiden am Nachmittag in dem bescheidenen Gottesdienstlokal. Der Priester, der den Versammelten diente, hatte ganz abgearbeitete Hände, aber er betete so innig und aus dem Herzen heraus, daß Eduard Poche davon tief berührt wurde. Als er aus dem Elternhaus gegangen war, hatte seine Mutter zum Abschied zu ihm gesagt: „Mein lieber Junge, ich kann dir nicht viel mitgeben, aber ich will jeden Tag für dich beten, daß der liebe Gott dir den schönsten Weg zeigen soll." Als Eduard Poche das nächste Mal seiner Mutter schrieb, erinnerte er sie an diese Worte. „Liebe Mutter, Du wolltest doch immer für mich beten, und das hast Du auch getan. Ich glaube, der liebe Gott hat mir schon den schönsten Weg gezeigt. Es gibt wieder Apostel." Nun geschah es ja sehr oft in der damaligen Zeit – und manchmal auch heute noch – daß Eltern mit Zorn und Unverständnis reagierten, wenn eines ihrer Kinder apostolisch werden wollte. Vielen ist deshalb das Elternhaus sogar verboten worden. Aber Mutter Poche war anders. Sie schrieb ihrem Eduard zurück: „Mein lieber Junge, wenn Deine Seele fühlt, was Dir da gereicht wird, dann bleibe da und prüfe das weiterhin." Das tat Eduard Poche und fühlte sich immer wohler im Haus des Herrn. Nachdem er einige Male im Gottesdienst gewesen war, sprach ein Bruder ihn an. „Sag mal, du singst so schön, du hast eine viel bessere Stimme als ich. Kennst du auch Noten?" Eduard Poche nickte. „Ja, ich habe viel mit Noten zu tun. Ich bin nämlich Klaviertechniker." „Dann mußt du ab sofort unser Vorsänger sein", sagte der Bruder, der bis dahin diese Funktion innegehabt hatte. Er steckte Eduard Poche eine Nadel an, die eine silberne Lyra darstellte. Ein wenig erschrocken über seine Eigenmächtigkeit blickte er seinen Priester an, doch der nickte ihm zu. „Jawohl, das ist schon richtig, was du da gemacht hast." So wurde Eduard Poche zunächst Vorsänger der Braunschweiger Gemeinde. Damals gab es noch kein Harmonium, deshalb war das in den Gottesdiensten eine ziemlich wichtige Aufgabe. Der Vorsänger mußte immer eine Strophe des angegebenen Liedes vorsingen, und dann fielen die anderen mit ein. Eduard Poche war wirklich sehr musikalisch und hatte eine schöne Stimme. Darum kam bald ein ganz anderer Schwung in den Gemeindegesang, und schließlich konnte man daran denken, einen kleinen Chor zu gründen, den Eduard Poche leitete. Friedrich Krebs hatte sich schon oft an den Darbietungen der Sänger erfreut. Und besonders häufig erbat er sich von ihnen sein Lieblingslied: „Der Herr ist mein Licht." 115 VON BEZIRK ZU BEZIRK, VON GEMEINDE ZU GEMEINDE
Es waren Stammapostel Krebs noch etwas mehr als fünf Jahre geschenkt, in denen er das Werk Gottes führen durfte – Jahre wie die vorherigen, voller Arbeit, voll heißer Mühen um die Anvertrauten, Jahre des Kampfes und des Sieges über allerlei Widrigkeiten. Wie immer war er viel auf Reisen, von Bezirk zu Bezirk, von Gemeinde zu Gemeinde, ohne auf sein Alter und dessen Beschwernisse zu achten. Seine größte Freude waren nach wie vor die Gottesdienste, in denen er Seelen der Braut Christi hinzufügen konnte. Und es waren viele in diesen Jahren. Die Arbeit der Gottesknechte überall in der Welt trug weiterhin Früchte. In den Statistiken, die im ,Herold' veröffentlicht wurden, stieg die Zahl der Versiegelten von Jahr zu Jahr; beispielsweise waren es über zehntausend, die 1904 zum Werk des Herrn kamen, die Geschwister aus Australien und Südafrika nicht mitgerechnet. Stammapostel Krebs hatte in den Jahren 1900 bis 1902 drei neue Apostel ordiniert. Am 16. September 1900 empfing Sietse Faber das Apostelamt für Südamerika, das dem Apostelbezirk Niederlande unterstellt wurde. Der zweite war 1901 der schon erwähnte Friedrich Eduard Mierau, der ein Jahr zuvor im Auftrag des Stammapostels als Evangelist nach Nordamerika gegangen war und nunmehr im Apostelamt dort wirkte, der dritte der Bischof Heinrich Bornemann, dessen Berufung in Westfalen und im Rheinland große Freude auslöste. In der Folgezeit wurde Apostel Bornemann besonders Hermann Niehaus eine wertvolle Stütze. Da und dort waren indessen, dank der Opferfreudigkeit der Geschwister, eigene Kirchen erbaut worden, und Friedrich Krebs plante, in Braunschweig ebenfalls eine errichten zu lassen. Eines Sonntagnachmittags, als er nach dem Gottesdienst aus der Kaffeetwete kam, wandte er sich deshalb an einen Bruder der Gemeinde und trug ihm auf, sich nach einem geeigneten Grundstück umzusehen. Bruder Fricke machte sich am Sonntag darauf auf die Suche. Er hatte erfahren, daß in der Celler Straße ein Grundstück zum Verkauf anstand, 116
und nahm noch zwei Brüder mit, um es auszumessen. Es stellte sich heraus, daß es für den geplanten Kirchenbau nicht ausreichte. Aber einige Geschwister hatten die drei Brüder bei der Vermessung gesehen, und nun ging es wie ein Lauffeuer durch die Gemeinde, daß Braunschweig ein eigenes Kirchengebäude erhalten sollte. „Nachbar", sagte Friedrich Krebs zu Bruder Fricke, als er davon erfuhr, denn die Geschwister Fricke wohnten ganz in seiner Nähe, „da haben Sie aber etwas angefangen. Nun können wir es nicht mehr zurückhalten." Damit war der Kirchenbau endgültig beschlossen. Bald darauf fand sich auch das passende Grundstück, ein Garten an der Goslarschen Straße. Nachdem der Stammapostel sein Einverständnis zum Kauf gegeben hatte, forderte er Bruder Fricke auf, das nötige Geld herbeizuschaffen. Schulden durften natürlich nicht gemacht werden, aber das war auch nicht nötig, denn wohin Bruder Fricke kam – er fand überall offene Herzen und Hände. Der Garten an der Goslarschen Straße wurde Eigentum der apostolischen Gemeinde Braunschweig, und mit dem Kirchenbau konnte begonnen werden. Viele Mittel standen dafür nicht zur Verfügung, aber die Brüder packten tüchtig mit an, so daß das Gebäude rasch emporwuchs. Am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1902 konnte der Stammapostel das Kirchengebäude in einem Festgottesdienst weihen. Apostel Sebastian aus Wolfenbüttel und etliche Amtsbrüder aus Hannover waren gekommen. Schon Tage zuvor hatten die Geschwister fleißig gearbeitet, um die Kirche zu schmücken. Girlanden waren gebunden worden und Lorbeerbäumchen um den Altar gestellt. Auch ein Spruch zierte die Decke: „Als Kinder des Lichts sind wir angetan mit der Kraft des Glaubens und der Liebe." 117 Vor dem Gottesdienst überreichte Architekt Nabert dem Stammapostel die Kirchenschlüssel; der schloß die Tür auf und betrat als erster, gefolgt von seinen Begleitern und Geschwistern, das neue Gotteshaus. Es war viel Platz darin, fast zuviel, wie es den Geschwistern anfangs erschien, waren sie doch die gedrängte Enge in der Kaffeetwete gewöhnt. Aber alle hofften darauf, daß die Kirche eines Tages voll sein würde, weil immer mehr gläubige Menschen hinzukamen. Als Eingangslied erklang: „0 selig Haus, wo man dich aufgenommen ..." Und nach dem Gebet von Stammapostel Krebs stimmte der Chor, dirigiert von Bruder Poche, das Lied an: „Hört, Jesus ruft, kommt alle her, ich führ' euch an der Hand." Beim Nachmittagsgottesdienst fand dann auch Heilige Versiegelung statt. „0 Vaterhand, die mich so treu geleitet", sangen die Versammelten zu Beginn, und vor der heiligen Handlung bat Vater Krebs den Chor: „Kinder, klopfet!" Bruder Poche und die Sänger wußten, was damit gemeint war, handelte es sich doch um eines der Lieder, die Vater Krebs besonders liebte. „Horch, es klopfet für und für..." Im darauffolgenden Jahr berief der Stammapostel die alljährliche Apostelversammlung in Berlin ein. Aber dieses Mal wurde das herbeigesehnte Ereignis von Trauer überschattet. Apostel Wachmann erkrankte auf der Reise nach Berlin so schwer, daß er die Fahrt abbrechen und nach Hause zurückkehren mußte. Nach nur dreitägigem Krankenlager rief der liebe Gott ihn am 23. März 1903 in die jenseitige Welt. Mit Apostel Wachmann verlor Vater Krebs nicht nur einen treuen Mit-apostel, der seine ganzen Kräfte in den Dienst des Herrn gestellt hatte, sondern auch einen langjährigen Freund; zusammen versiegelt, hatten sie gemeinsam die schweren Aufbaujahre durchlebt und bewältigt. Stammapostel Krebs führte die Trauerfeier für seinen lieben, geschätzten Weggefährten in Hamburg durch. Er kam gemeinsam mit den Aposteln Niehaus, Ruff, Sebastian, Obst, Hallmann und Bornemann. Viele Hunderte hatten sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof eingefunden, um ihrem geliebten Apostel das letzte Geleit zu geben, und unzählige Kränze schmückten die Trauerstätte. In den ,Norddeutschen Nachrichten' erschien am 7. April 1903 ein ausführlicher Bericht über Apostel Wachmann. Darin hieß es unter anderem: „Der Verblichene war ein durchaus edler Charakter und stand deshalb auch bei Reich und Arm in hohem Ansehen. Wer in der Not zu ihm kam, fand stets eine offene Hand und ein mitfühlendes Herz ... Er war ein Mann von geradezu glänzenden Geistesgaben, einer echten, ungeheuchelten Frömmigkeit und einem felsenfesten Gottvertrauen. Es konnte nicht fehlen, daß ein solcher Mann sich die Herzen vieler Menschen gewinnen konnte. Wer Liebe sät, wird Liebe ernten!" Soweit eine weltliche Stimme zum Heimgang von Apostel Wachmann. Sie ist deshalb so bedeutungsvoll, weil daraus zu spüren ist, daß sich die öffentliche Meinung über die ,Apostolischen' nach und nach gewandelt hatte. Freilich nicht überall, aber doch bei Menschen mit einem gewissen geistigen Niveau, die, wenn auch nicht unseres Glaubens, so doch Hoch- 118 achtung und Bewunderung für diejenigen aufbrachten, die sich aufrichtig bemühten, in ihrem Leben ein „lesbarer Brief Jesu Christi" zu werden. Nun hatte der Hamburger Bezirk keinen Apostel mehr, aber verarmt waren die dortigen Gotteskinder dennoch nicht. Vater Krebs nahm sich ihrer an, und zu seiner Unterstützung veranlaßte er den Bischof Popp aus Greiz, ihn in Hamburg zu vertreten. Dieser war den Hamburgern kein Unbekannter, war er doch in ihrer Stadt versiegelt worden, hatte später längere Zeit in Lüneburg gewirkt und dort eine Gemeinde gegründet, ehe Vater Krebs ihn als Bischof nach Greiz gesandt hatte, um dort das Werk Gottes voranzutreiben. Jetzt kehrte Bischof Popp also wieder nach Hamburg zurück. Nach der Jahrhundertwende wurden allmählich die Stammesnamen der einzelnen Apostelbezirke nicht mehr verwendet. Statt dessen ging man dazu über, von den Bezirken Norddeutschland, Holland, Sachsen, Rheinland-Westfalen usw. zu sprechen. Im März 1904 kam Stammapostel Krebs nach Nordhausen, um dort die Geschwister zu bedienen. Es sollte auch Heilige Versiegelung stattfinden. Am Vorabend waren er, Apostel Sebastian, der inzwischen ins Bischofsamt gekommene Heinrich Wolf sowie Otto Steinweg und etliche Amtsbrüder in der Wohnung des Ältesten Sigismund versammelt. Letzterer war Vater Krebs aus seiner Zeit in Berlin gut bekannt, war er doch Vorsteher der Gemeinde Berlin-Pankow gewesen. 1899 hatte der Stammapostel ihn vor die Wahl gestellt, in seine Heimatstadt Rudolstadt oder nach Nordhau-sen zu gehen, um dort mit der Weinbergsarbeit zu beginnen. Der Älteste Sigismund, ein kindlich gläubiger, demütiger Mann, erwiderte, daß ihm keine Entscheidung darüber zustehe. Er gehe dahin, wohin der Vater ihn sende. Daraufhin schickte ihn der Stammapostel nach Nord-hausen. Bruder Sigismund, in Berlin noch Kassenbote bei einer großen Getreidehandlung, fand in Nordhausen keine entsprechende Anstellung, sondern mußte auf einem Holzhof arbeiten, um das tägliche Brot für seine Frau und die drei Kinder zu verdienen. Es war eine schwere Zeit für ihn und die Seinen; sie mußten anfangs viel Spott und Abneigung erleben, wenn sie zu den Gottesdiensten einluden, die in Bruder Sigismunds Wohnung stattfanden. Aber nach und nach gewannen sie doch etliche Seelen für das Werk Gottes. Inzwischen versammelte sich die kleine Gemeinde in einem Saal, den ein Bruder auf seinem Grundstück hatte erbauen lassen. An jenem Abend nun, dem 4. März 1904, dem Vorabend des Gottesdienstes, waren in der Wohnung des Altesten verschiedene Landkarten auf dem Tisch ausgebreitet. Es sollten die Grenzen für die Wirkungsbereiche der Apostel zwischen Thüringen und dem Harz festgelegt werden. Auch einige Glaubensgeschwister und ein Gast hatten sich eingefunden, so daß die Stube voll war. Plötzlich hob Stammapostel Krebs den Kopf und sah den Gast an, der am nächsten Tag mit seiner Frau zur Heiligen Versiegelung kommen 119 wollte. Es war der Bildhauer Kelle. Vater Krebs bat ihn, näher zu treten, und sagte dann: „Sie wollen sich morgen versiegeln lassen. Treten Sie lieber nicht vor, denn Sie können es noch nicht glauben." „Doch", widersprach Herr Kelle, „wir können glauben, wir lassen uns versiegeln." Der Stammapostel ging nicht weiter darauf ein, sondern fuhr fort, mit den Brüdern über die anstehenden Anliegen zu sprechen. Übernachten sollten er und Apostel Sebastian bei Priester König, der ziemlich weit entfernt am anderen Ende der Stadt wohnte. Deshalb machte der Älteste Sigismund seine Besucher etwa um Viertel vor elf Uhr abends darauf aufmerksam, daß die letzte Straßenbahn bald fahren würde und man deshalb das Zusammensein beenden müsse. Friedrich Krebs winkte energisch ab. „Wir sind hier noch nicht fertig. Wenn wir kommen, steht die Elektrische noch da." Es war beinahe Mitternacht, als die Apostel endlich aufbrachen, und die Brüder fürchteten, daß sie, um zur Wohnung von Priester König zu kommen, einen langen Fußmarsch auf sich nehmen müßten, da die letzte Bahn längst abgefahren war. Aber als sie die Haltestelle erreichten, stand die Bahn noch da. Aus unerfindlichen Gründen hatte die Technik den Dienst versagt. Vater Krebs lächelte. „Seht, da steht sie. Setzt euch rein." Er selbst wandte sich an den Schaffner: „Kurbeln Sie an, jetzt fährt sie wieder." Und tatsächlich – die Bahn setzte sich in Bewegung und brachte die Apostel ohne weitere Panne zu ihrem Nachtquartier. Von dem Bildhauer Kelle ist noch zu berichten, daß sich auch an ihm das Wort des Stammapostels erfüllte. Zwar setzten er und seine Frau es durch, daß sie versiegelt wurden, aber nicht einmal eine Woche lang blieben sie treu. Erst nach zwanzig Jahren kam der Bildhauer wieder zum Gottesdienst. Und weil er wieder gern zur Gemeinde gehören wollte, sich aber seiner Untreue schämte, trat er wie ein Gast an den Altar, als Apostel Otto Steinweg die Seelen zur Heiligen Versiegelung einlud. Der Apostel kannte den Mann nicht. Dennoch sagte er zu ihm: „Treten Sie zurück; Sie sind ja bereits versiegelt." Wie weitsichtig Stammapostel Krebs handelte, ist auch folgender Schilderung zu entnehmen: Der Stammapostel bereiste im Jahr 1904 den Apostelbezirk Berlin und kam dabei in ein kleines Städtchen in der Mark Brandenburg. Dort war Andreas Müller, der Großvater des Berichterstatters, bei der Eisenbahn beschäftigt, und zwar als Oberrangiermeister auf dem Verschiebebahnhof. Einer seiner Untergebenen, ein Rottenführer, war neuapostolisch und hatte ihm schon einiges über seinen Glauben erzählt und auch des öfteren zum Gottesdienst eingeladen. Jedoch stellte sich der Herr Oberrangiermeister immer ablehnend der Sache gegenüber. Aber dieser Mann ließ nicht locker. Es heißt in dem Bericht: »Nachdem mein Großvater ihm einmal etwas besonders Gutes erwiesen hatte, sagte der Bruder: „Ich kann mich schlecht revanchieren, ich habe keine Mittel. Aber was ich dir anzubieten habe, ist wirklich das Schönste, das Beste, das Teuerste, das Wertvollste, was ich mir nur denken kann! Komm doch einmal, nur einmal in unsere Gottesdienste, und zwar am Sonntag. Ich bitte dich herzlich darum! 120
Am kommenden Sonntag kommt ein Landsmann von dir in unsere Gemeinde." Mein Großvater stammte aus dem Braunschweigischen, wo er auch schon bei der Eisenbahn tätig gewesen war. „Der Landsmann von dir, der da kommt, heißt Krebs. Der ist in Braunschweig Bahnmeister gewesen, und der ist unser Apostel." Als der Name „Krebs" fiel, konnte sich mein Großvater an seinen ehemaligen Chef erinnern, den er als sehr gradlinig und gerecht kannte. Und dann sagte er tatsächlich zu, daß er am Sonntag mitkommen wolle zum Gottesdienst. Der Großvater kam nach Hause und erzählte seiner Frau, unserer Großmutter: „Du, paß auf, wir gehen am Sonntag alle in die Kirche." „Wo gehen wir hin?" fragte die Oma. – „In die Kirche! Unsere Kinder nehmen wir auch mit." „Ach, Du meinst wohl, in die Kirche, wo mit den Gläsern geläutet wird und wo der ,Vers' einen Groschen kostet? Du meinst die Kneipe!" – „Nein, nein, Spaß beiseite, wir gehen tatsächlich in die Kirche. Du mußt dir die Haare noch ein bißchen kräuseln lassen, und bring meine Ausgehuniform in Ordnung. Ich werde unsere Schuhe putzen, den Kindern auch noch die Haare schneiden, und dann gehen wir am Sonntagmorgen zum Gottesdienst. Wir sind eingeladen worden zur Kirche, in die apostolische Kirche." Es war dann soweit. Vater und Mutter gingen mit ihren vier Kindern, darunter auch mein Vater, zum Gottesdienst. Die Versammlungsstätte war 121
„Ja" bekunden. Großvater, Großmutter, und die vier Kinder sagten „Ja". Sie empfingen den Heiligen Geist, und nach der Handlung sagte der Stammapostel: „Nun laßt uns noch einmal beten, extra für Euch." Und dann sagte er so in etwa: „Lieber Gott, Du siehst hier die Familie: Vater, Mutter und vier Kinder. Sie sind im ersten Gottesdienst und haben Dein Wort zum ersten Mal gehört und sind nun gleich mit dem Heiligen Geist versiegelt. Die wissen noch nicht, worum es geht, was für große Dinge sich hier tun. Nun öffne Du ihnen doch die Augen, daß sie Dich, den lebendigen Gott, kennenlernen, liebenlernen und wissen, daß sie es mit Dir in Deinem Erlösungswerk zu tun haben. Das wollest Du ihnen schenken!" Danach sagte er: „Nun setzt euch wieder hin. Aber Andreas, du bleibst hier noch stehen." Die Mutter mit ihren vier Kindern setzte sich wieder auf ihren Platz, und der Großvater empfing in diesem Gottesdienst, im ersten Gottesdienst, den er erlebte, sogleich das Unterdiakonenamt. 122 Anschließend wandte sich der Stammapostel zu ihm und sagte: „So, Andreas, nun paß mal gut auf: Du hast hier dein Jawort gegeben und bezeugt, dem lieben Gott dienen zu wollen und in Treue und Anhänglichkeit zu ihm zu stehen. Hast du das verstanden?" Der Großvater knallte seine Hacken zusammen und sagte: „Jawohl", wurde jedoch sofort eines besseren belehrt: „Das heißt hier nicht ‚Jawohl', sondern ,Ja"'! Er hat dann wirklich treu gedient, so lange er lebte, und den Herrn über alles geliebt. Der liebe Gott wiederum hat ihm und seiner Frau und den Kindern die Augen aufgetan für sein Werk und Walten.« Im Oktober 1904 reiste Stammapostel Krebs mit den Aposteln Nie-haus, Sebastian und Bornemann nach Holland. Wohin sie auch kamen, überall hatten sich Geschwister und Kinder auf den Bahnhöfen versammelt und Blumensträuße in das Abteil gereicht, in dem die Apostel saßen. Vielfach hatten die holländischen Geschwister sogar deutsche Lieder gelernt, um die Gäste zu erfreuen. Es waren Tage voller Segen und Freude für alle, die daran teilnahmen. In dem entsprechenden Reisebericht hießt es am Schluß: „Wie wir über die See fuhren, machte uns der liebe Vater und Apostel [Krebs] auf die Bewegungen der See aufmerksam. Es war Windstille und der Meeresspiegel vor dem Dampfer glatt und ruhig. Aber hinter uns war die weiße schäumende Fahrstraße des Schiffes. So geht es auch mit unserer Wirksamkeit: Die Folgen werden offenbar." Die Wirksamkeit von Stammapostel Krebs hatte unauslöschliche Folgen für das Werk Gottes. Wo wären alle die, die durch sein Wort zum Glauben kamen? Wo wären wir heute, wenn er und seine Mitstreiter nicht so furchtlos, so ganz und gar vom Willen ihres Senders und der Liebe zu ihren Mitmenschen durchdrungen, ohne Rücksicht auf sich selbst, das apostolische Werk aufgebaut hätten? Bei Gott ist das nicht vergessen, und auch bei uns kann und darf es ebenfalls nie vergessen werden. Und so steht er heute vor uns, der erste Stammapostel der Endzeit, ein Mann, der einmal von sich in einem Gottesdienst sagte: „Ich bin gewiß, aufzutreten und hindurchzugehen und euch zuzurufen: Die Furcht des Herrn ist die Quelle des Lebens!" Und: „Ohne die Gnade Gottes sind wir nicht imstande, etwas wirken zu können." 123
Er hat viel Gnade erlangt, und deshalb auch viel bewirkt. Freilich, er hat auch manches durchlitten, und ein großer, nie von ihm genommener Kummer war, daß seine Frau und die Kinder nicht zum Volk Gottes zählten. Er hat nicht oft darüber gesprochen — und wenn, dann nur, um andere, die in einer ähnlichen Situation standen, zu trösten und ihnen wieder Mut zu machen. So wie jene junge Glaubensschwester, die er in Braunschweig oft auf dem Weg zum Gottesdienst traf. Sie hatte sechs Kinder, und ihr Mann stand dem Werk Gottes fern. So mußte sie mit ihren Kleinen allein ins Haus des Herrn gehen. Friedrich Krebs nahm ihr dann die Jüngsten ab und trug sie auf dem Arm, und während des Weges kam es dann häufig vor, daß Schwester Künnicke ihrem Stammapostel ihr Leid wegen ihres Mannes klagte. Vater Krebs sagte zu ihr: „Liebes Kind, gehen Sie ihm mit einem guten Beispiel voran. Leben Sie den Glauben vor, dann wird er es vielleicht noch erkennen." Danach fügte er leise hinzu: „Ich muß ja auch allein gehen und habe zu Hause auch schwere Kämpfe." „VERGESST JA KEINE SEELE!" Und dann kam der Januar 1905 ... Gut acht Tage vor seinem Heimgang stattete Stammapostel Krebs noch einmal der Bielefelder Gemeinde einen Besuch ab. Er hielt dort einen Gottesdienst an einem Wochentag. Die Apostel Niehaus und Bornemann hießen ihn und den aus Karlsruhe kommenden Bischof Bock freudig am Bahnhof willkommen. Als die beiden Vater Krebs aus dem Zug steigen sahen, sagte Hermann Niehaus zu Heinrich Bornemann: „Der liebe Vater ist nicht älter, sondern ein Jahr jünger geworden." Für den Gottesdienst wählte Stammapostel Krebs das Bibelwort aus Psalm 132, die Verse 8-14, wo es unter anderem heißt: „Dies ist meine Ruhe ewiglich, hier will ich wohnen; denn es gefällt mir wohl." Bevor das Heilige Abendmahl gefeiert wurde, sagte er zur Sündenvergebung: „Eure Schuld ist durchgestrichen mit dem Blute des Lammes. Ich vergebe euch an Christi statt, ihr sollt gedeckt sein. Friede sei mit euch." In diesen Augenblicken legten sich auf die Seele von Apostel Niehaus trotz aller empfangenen Seligkeit wie eine dunkle Vorahnung die Worte Jesu, die er einst zu seinen Jüngern gesprochen hatte: „Mich hat herzlich verlangt, dies Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide." Stammapostel Niehaus hat später öfter berichtet, wie bang ihm dabei geworden sei. Aber er verdrängte diese Empfindung und wies die Vorstellung weit von sich, dies könne das letzte Abendmahl sein, das er mit Vater Krebs feierte. Nach dem Gottesdienst fuhr Vater Krebs mit Apostel Niehaus nach Quelle-Steinhagen, wo dieser einen Bauernhof besaß. Dort hielt sich der Stammapostel gern auf. Die ländliche Stille und Abgeschiedenheit taten ihm wohl, und Apostel Niehaus freute sich, wenn sein geliebter geistiger Vater ein paar Stunden von seiner Arbeit ausruhen konnte. An die- 124 sem Abend mochte Vater Krebs gar nicht zu Bett gehen; er war lebhaft und freudig, und es gab ja auch noch manches zu besprechen. Doch Apostel Niehaus drängte darauf, daß er sich schlafen legte, um neue Kräfte zu sammeln. Am nächsten Tag um zehn Uhr reiste der Stammapostel gemeinsam mit Bischof Bock ab, um abends in Wolfenbüttel Gottesdienst zu halten. Anschließend kehrte er nach Braunschweig zurück, wo er am Sonntag morgens und nachmittags diente. Es waren die letzten Gottesdienste, die er hielt. Der Dienst am Morgen stand unter dem Textwort aus 2. Mose 9, die Verse 18-26. Darin heißt es: „Siehe, ich will morgen um diese Zeit einen sehr großen Hagel regnen lassen, desgleichen in Ägypten nicht gewesen ist, seitdem es gegründet ist, bis her. Und nun sende hin und verwahre dein Vieh und alles, was du auf dem Felde hast. Denn alle Menschen und das Vieh, das auf dem Felde gefunden wird und nicht in die Häuser versammelt ist, so der Hagel auf sie fällt, werden sterben ... Und der Hagel schlug in ganz Ägyptenland alles, was auf dem Felde war, Menschen und Vieh, und schlug alles Kraut auf dem Felde und zerbrach alle Bäume auf dem Felde. Allein im Lande Gosen, da die Kinder Israel waren, da hagelte es nicht." Das Eingangslied, das die Versammelten sangen, war „Die Sach' ist dein, Herr Jesu Christ ..." In einer Strophe heißt es da: „Allein das Weizenkorn, bevor es fruchtbar sproßt zum Licht empor, muß sterben in der Erde Schoß zuvor vom eignen Wesen los ..." Es wurde ein bewegender Gottesdienst, in dem Stammapostel Krebs unter anderem sagte: „Ich bin nicht mehr in der Welt, obwohl mein Fleisch noch in der Welt ist." Nach dem gemeinsam gebeteten „Unser Vater" wandte er sich noch einmal an die versammelten Amtsträger aus anderen Gemeinden und bat sie: „Denket ja an alles, vergeßt ja keine Seele, bringt mir alles heran zum Opfer." Am Nachmittag diente er mit dem Textwort aus Richter 6, die Verse 33-40. Es sind Verse aus der Geschichte um Gideon, der im Auftrag des Herrn den Altar des Götzen Baal zerbrochen und einen anderen zur Ehre Gottes errichtet hatte. Darum sollte er nach dem Willen der Midianiter sterben. Aber Gott bekannte sich zu Gideon und gab ihm das erbetene Zeichen zum Beweis, daß er ihn gesandt hatte, Israels Feinde zu schlagen. Zum Abendmahl ließ der Stammapostel das Lied singen: „Ich bin so gern, so gern daheim." Und dann bat er noch um sein Lieblingslied: „Der Herr ist mein Licht." Nach dem Gottesdienst blieb er noch einige Zeit mit den Brüdern beisammen, und als er heimkam, war er noch bis gegen zwei Uhr wach, weil er keine Ruhe fand und sich um manches Gotteskind und manchen Bruder sorgte. Am Montag besuchte er die von außerhalb angereisten Brüder noch einmal in ihrem Quartier, um ihnen abermals ans Herz zu legen, im Geist Christi zu leben und zu arbeiten. Auch warnte er sie vor den Wölfen, die kommen würden, um die Herde auseinanderzureißen, wenn der Hirte 125 nicht mehr da sei. Aber er sagte auch: „Ich bin zufrieden. Ich freue mich. Ich weiß, ich habe meine Schuldigkeit getan." Zum Abschied trug er den Heimreisenden auf: „Grüßen Sie alle herzlich." Es waren die letzten Grüße des Stammapostels an die Gemeinden. Am Dienstag erhielt Apostel Niehaus ein Telegramm, das ihm Vater Krebs' schwere Erkrankung meldete. Er hatte eine Lungenentzündung bekommen. Voller Unruhe wäre der Apostel am liebsten auf der Stelle nach Braunschweig aufgebrochen, doch er konnte erst am Donnerstag die Fahrt antreten und fand den Kranken in einem Dämmerzustand vor. Er war sehr schwach und konnte kaum sprechen. Aber als Apostel Niehaus ihn erschüttert fragte: „Vater, willst du uns denn verlassen?" da erwiderte er: „Nie und nimmer. Ist gar kein Denken daran!" Und er hat die Anvertrauten ja auch nur im Fleisch verlassen, als er am nächsten Tag, dem 20. Januar 1905, heimgehen durfte, nachdem zu der schweren Lungenentzündung eine Herzlähmung hinzugekommen war. (Das in den „Wächterstimmen aus Ephraim" angegebene Datum, 21. Januar, ist unzutreffend.) Der von Friedrich Krebs bereits sieben Jahre zuvor ordinierte neue Stammapostel Hermann Niehaus ging bei der Trauerfeier auf diese letzten Worte des Heimgegangenen noch einmal ein. Er sagte: „Sein Geist bleibet bei uns, und seine Werke sollen in uns ihm nachfolgen." Friedrich Krebs war in der Braunschweiger Kapelle aufgebahrt. Über tausend Menschen hatten sich eingefunden, um ihm das letzte Geleit zu geben, darunter die Apostel Ruff, Obst, Kofman und Hallmann und viele Amtsbrüder als Abgesandte aller apostolischen Gemeinden. Das Gotteshaus glich einem Blumenmeer. Von überall her waren Kränze eingetroffen, die mit mehreren Postwagen direkt vom Postamt zum Kirchenlokal gebracht worden waren. Als Eingangslied wurde gesungen: „Komm, trockne die Tränen"; als Textwort nahm Stammapostel Niehaus Hebräer 13, Vers 7, das er - auf den Entschlafenen bezogen - leicht abwandelte: „Gedenket an euren Lehrer, der euch das Wort Gottes gesagt hat; sein Ende schauet an und folget seinem Glauben nach." Danach sagte Stammapostel Niehaus unter anderem: „Wir wissen, was der Entschlafene für einen Glauben gehabt hat. Johannes sagt von dem Glauben, den die Apostel hatten: ,Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet!' Daß der Entschlafene einen weltüberwindenden Glauben gehabt hat, das können wir bezeugen ... Wir sind ein redendes Zeugnis davon, daß in dem weltüberwindenden Glauben gewandelt, gekämpft und gesiegt wird. Früher waren wir ohne Gott in der Welt und kannten den Geist Gottes nicht, aber er hat uns alle mit seinem Glauben besiegt und überwunden ... Das ist der rechte apostolische Glaube. Zum Schluß heißt es: Sehet auf sein Ende. Von unserem lieben Entschlafenen können wir sagen: Er hat einen guten Kampf gekämpft, er hat den Lauf vollendet, er hat Glauben gehalten. Wir können das Wort hören: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Auch diesen Trost kann ich der betrübten Gattin, der hinterlassenen Witwe und den Kindern und 126
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Nahestehenden zurufen: Seid getrost, euer Vater hat überwunden. Sehet auf sein Ende und folget seinem Glauben nach." Nach dem Schlußgebet und Segen sang der Chor: „Ich weiß ein Reich, da Jesus thront ..." Anschließend setzte sich der unübersehbar große Zug der Trauergäste durch die Straßen von Braunschweig zum Friedhof in Bewegung. Am Grab betete Stammapostel Niehaus noch einmal und sagte dabei die Worte: „Es gibt gar keinen Tod, nur ein Schlafen bis zum andern Morgen!" „Welch Glück ist's, erlöst zu sein", sang der Chor zum Abschluß. Und als die Worte erklangen: „Hier wandelt der Sorgen Heer schnell sich in Lust; man weinet und klagt nicht mehr an Jesu Brust ..." „Mit dir überwind' ich weit des Todes Macht. 0 Wort voller Seligkeit: Es ist vollbracht!" (Gesangbuch 558), da zog in die Herzen der Versammelten trotz allen Abschiedsleides die lebendige Hoffnung des Glaubens ein, der auch am Grab triumphiert und dem Tod die Bitternis nimmt. Es ist der herrliche Glaube, der uns, das Volk Gottes, gelehrt worden ist und dem wir treu bleiben wollen, so wie Stammapostel Krebs ihm treu geblieben ist bis zu seinem letzten Atemzug, um dann zu schauen, was hier auf der Erde sein hohes Ziel und seine Sehnsucht war.
Ende
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Bron: VFB. Tekst: Susanne Scheibler.
Uitgave 1993. Het boekje is niet meer verkrijgbaar.