Großes Unverständnis in Zürich
Protokoll der Redaktionsanfragen an die Kirchenleitung
Wuppertal (gk). Vermutlich wundert sich der eine oder die andere darüber, dass die Kirchenleitung bisher noch keine Stellungnahme abgab. Das ist auch tatsächlich nicht ganz richtig. Allerdings sind die Stellungnahmen so erschreckend fern des Geschehens, dass wir lieber noch ein paar mal nachgefragt haben. Ein Protokoll:
Montag, 21. Februar, morgens um 9:37 Uhr
Nachdem sich am Wochenende abgezeichnet hat, dass der Bezirksälteste Feil eine breite Unterstützung geniessen wird, schreibt gk-Redakteur Tobias Andrä an den Sprecher der Neuapostolischen Kirche International, Peter Johanning:
„Erlauben Sie mir aus aktuellem Anlass zwei Anfragen zur Thematik Kirchenverständnis: 1. Wie bewertet die Neuapostolische Kirche International die teils ablehnenden Reaktionen von Amtsträgern und Mitgliedern gegenüber dem nun bekannt gewordenen Kirchenverständnis? Gibt es Ihrerseits dafür Verständnis und besteht die Möglichkeit, dass es an den kritisierten inhaltlichen Punkten noch Veränderungen geben könnte?“
Um 12:28 folgt die knappe Antwort aus Zürich bzw. Bielefeld:
„Das Kirchenverständnis der Neuapostolischen Kirche ist sehr offen und weit. Kritik hatten wir eher aus den konservativen Kreisen erwartet.“
Ob der Sprecher weiß, dass er damit gerade offenbart hat, dass die Kirchenleitung im Vorfeld die Lage an der Basis eklatant falsch eingeschätzt hat, er also quasi zugibt, dass man dort keinen Plan hat? - Nun, wir beschließen, dass uns die Antwort nicht ausreicht. Es geht nun, angsichts des Protestes, an den sich inzwischen auch zahlreiche höhere Amtsträger mit Leitungsverantwortung angeschlossen haben, darum ob man gegenüber der Öffentlichkeit ausschließt, dass es noch Änderungen geben könnte. Daher erinnert Andrä ein paar Minuten später an die zweite Hälfte seiner Frage:
„Danke für Ihre Rückantwort. Eine Nachfrage existiert die Möglichkeit, dass es an umstrittenen Punkten noch Veränderungen geben könnte, oder ist dies ausgeschlossen?“
Doch seitens der NAKI gibt man sich knapp zwei Stunden später völlig ahnungslos:
„Lieber Bruder Andrä, welche Punkte sind denn umstritten? Wer das jetzt formulierte Kirchenverständnis ändern will, kehrt zurück zu alten Zeiten.“
Seit 18. Februar ist die Position des Bezirksältesten Feil im Netz, in der Woche zuvor wurde schon in zahlreichen Kommentaren zum Ausdruck gebracht, wo die Knackpunkte des neuen Kirchenverständnisses sind. - Der Kirchensprecher hat aber offenbar noch keinen Überblick. - gk gibt Nachhilfe:
„Ich meine insbesondere die beiden nachfolgend zitierten Pasagen, von denen sich unter anderem Bezirksältester Thomas Feil in seinem Schreiben an die Amtsträger in Hannover-Nord distanziert.“
Andrä führt zwei Stellen aus dem neuen Kirchenverständnis an, die längst in den neuapostolischen Foren und v.a. in der Leserbriefspalte unseres Magazins rauf und runter diskutiert werden. Er schickt noch eine weitere Mail hinterher:
„Noch eine inhaltliche Ergänzung, ist es nicht so das die nak erstmals in Ihrer Geschichte in Ihrem Kirchenverständnis ausdrückt, dass es nirgendwo sonst ein geistliches Amt gibt und dass alle anderen Kirchen Abendmahl nur zum Gedenken und ohne jede Wirkung feiern. Das gab es doch bisher noch nicht und ist ein deutlicher Tribut an die konservative Fraktion!“
Es ist schon nach 19 Uhr als Peter Johanning antwortet, dieses mal sogar etwas ausführlicher:
„Nochmal: unser Kirchenverständnis ist weit. Es besagt (kurz ausgedrückt): alle Getauften, die an Jesus Christus glauben und ihn als Herrn bekennen, sind Teil der Kirche Christi. Die vollkommene Kirche Christi ist beim Herrn, die sichtbaren Kirchen hier im Diesseits haben alle Mängel, auch die
Neuapostolische Kirche. Am deutlichsten wahrnehmbar ist die Kirche Christi dort, wo das Apostelamt wirkt. Dies heißt im Umkehrschluss: erstens ist Kirche Christi größer als die Neuapostolische Kirche, zweitens wirkt Hl. Geist in der gesamten Kirche Christi. Die Sakramente in den anderen Kirchen erzielen nicht die ganze Wirkung, haben aber Wirkung. Insb. die Heilige Taufe ist der ganzen Kirche anvertraut. Dies ist kurz gesagt unser Kirchenverständnis. Dass wir am Apostelamt festhalten und damit das Amt als eine notwendige Gabe Gottes sehen, macht uns zur Neuapostolischen Kirche.“
Und als Antwort auf die hinterher geschobene Mail:
„Erstens haben wir zum ersten Mal überhaupt ein Kirchenverständnis, zweitens sagen wir nicht, dass Abendmahl in anderen Kirchen ohne Wirkung wäre – wie wunderbar, dass es Christen gibt, die an Tod und Auferstehung Christi erinnern, ein Gedächtnis-, Gemeinschafts- und Dankesmahl feiern. Es gibt nach unserer Auffassung aber nur ein bevollmächtigtes Amt, das Apostelamt. Und das haben wir immer gesagt.“
Die Telefon-Redaktionskonferenz um 22 Uhr zeigt ratlose Redakteure. Die Statements der Kirchenleitung sind so dermaßen an der Lage vorbei, dass man es kaum verantworten kann, sie zu veröffentlichen. Man endet mit einem Stoßgebet für unsere Heimatkirche, und der Herr möge dringend ein Handbuch zur Krisenkommunikation über den Verantwortlichen abwerfen.“
Noch in der Nacht schreibt gk-Redakteur Michael Koch erneut an den Pressesprecher und versucht noch etwas gehaltvolleres herauszuarbeiten. Beispiel: Die Kirchenleitung habe Kritik eher von den „konservativen Kreisen erwartet:
„Wenn die Kirchenleitung die jetzt entstandene Diskussion wahrnimmt, ist es dann richtig, zu behaupten, sie/ihr habt das falsch eingeschätzt? Und warum wurde das falsch eingeschätzt?“
Oder zu der Behauptung, das jetzige Kirchenverständnis sei „weit“:
„Inwiefern? Mehre Kommentatoren und Theologen sind der Ansicht, dass die Öffnung, die durch einen allgemeinen Kirchenbegriff vollzogen wird, gleich wieder eingeschräkt wird:
Es gibt nirdendwo anders ein geistliches Amt, nirgendwo anders ein wirkungsvolles Abendmahl, also höhstens ’Elemente von Kirche’. Da stellt sich die Frage: Wenn das so wäre, dass das KV nun tatsächlich weit ist, warum realisiert das keiner der fachkompetenten NAK-Beobachter, Lamprecht, Kick, Ruch; und warum vor allem realisiert das keiner der vielen Neuapostolischen, die auf ein weiteres KV gehofft haben?“
Da seitens der Kirchenleitung offenkundig Schwierigkeiten bestehen, die Thematik zu durchdringen versucht es Koch auf gut-neuapostolische Art mit einem Bild. Wenn Johanning behauptet, das neue Kirchenverständnis besage: „Alle Getauften, die an Jesus Christus glauben und ihn als Herrn bekennen, sind Teil der Kirche Christi.“ Dann:
„Die Frage ist aber, in welcher Rolle? - Die Müllabfuhr ist auch ein Teil der Stadt Wuppertal, aber von Seiten derer, die sich in einem höheren sozialen Status wähnen, erfahren ihre Mitarbeiter meistens Ausgrenzung. Das neue KV arbeitet ähnlich, es erklärt zwar irgendwie die anderen christlichen Kirchen als zum Großen Ganzen gehörend, aber nicht etwa mit Respekt vor deren Bemühungen, auch das Rechte zu tun, sondern man spricht ihnen ab, in dieser Kirche eine funktionierende Rolle zu spielen.“
Auch zu der Bemerkung des Pressesprechers: „Die Sakramente in den anderen Kirchen erzielen nicht die ganze Wirkung, haben aber Wirkung.“ bohrt Koch nach:
„Können Sie ausführen, welche, abgesehen von der Taufe, das betrifft das? Und welche Wirkung entfaltet sich dabei? Das neue KV legt als einzige Wirkung die folkloristische nahe ...“
Und schliesslich nimmt der gk-Redakteur bezug auf den Umstand, dass nur die „Heilige Taufe“ der ganzen Kirche anvertraut sei:
„Wieso eigentlich? Wieso wurde gerade sie der ganzen Kirche anvertraut und die anderen Sakramente nicht?“
Um Punkt neun landet die Antwort aus Zürich-Bielefeld in der Mailbox.
- Die Taufe sei eine Ausnahme weil „Weil durch die Taufe der Mensch zum Christ wird. Sie ist das Initiationssakrament - Gott selbst stellt den Glaubenden in eine Beziehung zu sich.“
- Was ist genau die Wirkung der Sakramente in anderen Kirchen: „Sakramente sind immer auch ein Mysterium, das sich nicht in alle Einzelheiten erklären lässt. Sie sind aber Teil der Kirche Christi und entfalten eine geheimnisvolle Wirkung.“
- Warum ist das Kirchenverständnis weit: „Weil es Christsein außerhalb der Neuapostolischen Kirche zulässt.“
[Nun, ein Blick in die Historie der NAK zeigt allerdings, dass man noch nie ein Problem hatte, andere wenigstens als Christen gelten zu lassen … Es ist ein Desaster.]
- Und das interessanteste: „Das Kirchenverständnis an sich ist weit und offen und christlich. BÄ Feil geht es um die Souveränität Gottes, die jedoch außerhalb jedes menschlichen Handeln liegt. Sie ist keine Verhandlungsmasse und steht über allem. Wer über das KV diskutieren will, soll beim Thema bleiben: ’Es besagt (kurz ausgedrückt): alle Getauften, die an Jesus Christus glauben und ihn als Herrn bekennen, sind Teil der Kirche Christi.“
Na, dann dürfte doch alles gar kein Problem sein, Koch hakt nacht:
„Gilt also auch mit dem neuen KV nachwievor, was nach Feil Aussage des Apostels war und in früheren Stellungnahmen der Kirche anklang, ’dass es in der Souveränität Gottes liegt, zu entscheiden, wo ein geistliches Amt wirkt und wo in welchem Umfang Heiliges Abendmahl vollwertig gefeiert wird’?“
Alles ein großes Missverständnis? Will der Bezirksälteste Feil und mit ihm inzwischen knapp 400 Neuapostolische genau das was die Kirchenleitung auch will? - Würde Johanning auf diese Frage jetzt mit "ja" antwortet, würde er damit das Kirchenverständnis in Teilen untergraben. - "Nicht ganz", heißt es daher erwartungsgemäß aus Zürich:
„In Gottes Souveränität liegt alles. Die Allmacht und Souveränität Gottes steht außer Frage. Gerade der Respekt vor der Souveränität Gottes macht es notwendig, den Begriff Souveränität theologisch verantwortlich zu verwenden. Er darf nicht dazu dienen, um verbindliche kirchliche Lehre gleichsam unmöglich zu machen und einem reinen Subjektivismus das Wort zu reden. Wir haben unser KV und sagen: am deutlichsten sichtbar ist Kirche Christi dort, wo das Apostelamt wirkt. Was und in welchem Umfang etwas außerhalb geschieht, ist nicht Sache des KV zu beantworten.“
Um 17:10 Uhr platzt dem gk-Redakteur der Kragen:
„Ich habe gerade den Eindruck, dass Sie die Bedenken von inzwischen 300 Leuten, darunter einige Vorsteher, viele Priester und aktive, nicht nachvollziehen können. Und das ist im Hinblick darauf, dass eine Kirchenleitung Vertrauen benötigt, erschreckend.“
Koch nimmt Bezug auf den letzten Satz der schon zitierten Aussage Johannings: „Was und in welchem Umfang etwas außerhalb geschieht, ist nicht Sache des KV zu beantworten.“:
„Richtig, damit wäre ich einverstanden; leider tut es das KV aber trotzdem - zumindest ist es so formuliert, dass das bisher jeder der sich dazu geäußert hat, so versteht, dass sich die NAK über das Wirken oder Nicht-Wirken in anderen christlichen Institutionen wertend äußert. Darunter ein paar Professoren, Doktoren und ein ganze Reihe sonstwie heller Köpfchen, die es durchaus gewohnt sind, schwierige Texte zu lesen und zu durchdringen. Wenn also eure Intention war, sich im KV nicht über das zu äußern, ’was und in welchem Umfang außerhalb’ geschieht, dann darf man mit Fug und Recht behaupten: Ihr habt einen gewaltigen Fehler gemacht! Ich halte das aber für ein Ausweichen, denn im KV steht klipp und klar ’Im Werk Gottes’ - schon allein das ist eine unerträgliche Anmaßung, Werk Gottes allein auf die NAK zu beziehen, für die es keine Rechtfertigung gibt - ’ist das möglich, was in den anderen Institutionen (...) nicht ausgeführt werden kann’ - Die neuapostolische Kirchenleitung müsste, wenn Ihre o. Aussage tatsächlich ihre Haltung ist, dass man keine Aussagen über andere ’Institutionen’ machen wollte, mit Leichtigkeit erkennen, dass es BÄ Feil (und vielen anderen), wenn er den Begriff Souveränität gebraucht, darum geht, ob wir auch andere neben uns gelten lassen können oder nicht. Derzeit lassen wir zwar eine theoretisch allgemeinen Kirche Christi zu, sprechen aber anderen chr. Gemeinschaften in ihrer realen Existenz das Vorhandensein und die Wirkung elementarer Dinge ab, die ihr de facto das Kirche sein unmöglich machen.“
Die danach eingetretene Stille könnte insofern ein gutes Zeichen sein, dass man jetzt in Zürich mit dem Nachdenken begonnen hat. Rund hundert aktive Amtsträger haben den Ausführungen Feils angeschlossen. Sie haben in bewegenden E-Mails an die Redaktion jeweils ihre Haltung begründet, warum sie – wohlgemerkt nicht das ganze Kirchenverständnis aber seine ausgrenzenden Elemente ablehnen: Es geht ihnen also nicht um plumpe Solidarität für einen „armen Ältesten“, wie es jetzt als Vorwurf da und dort zu hören ist. Die Frage ist jetzt: Ignoriert die Kirchenleitung diesen Wunsch nach Revision?
autor/, 2011-02-23
© glaubenskultur Verlag 1996-2011
Bron:
http://www.glaubenskultur.de/artikel-1414.html