Stationen des neuapostolischen Abendmahlverständnisses
Die Entwicklung des neuapostolischen Abendmahlsverständnisses darzustellen ist ein theologisch-geschichtliches Desiderat. Insofern stellen die nachfolgenden Ausführungen den Versuch dar, einzelne markante Stationen nachzuzeichnen, sind jedoch weit davon entfernt, die gesamte Entwicklung des neuapostolischen Abendmahlsverständnisses nachzuzeichnen. Selbst wenn hier nur eine Skizze vorgelegt werden kann, ist es doch unumgänglich, von der Voraussetzung dieses Verständnisses zu sprechen. Von daher ist es notwendig, wenigstens einen Blick auf das katholisch-apostolischen Abendmahlsverständnis zu werfen. Doch auch hier ist Beschränkung geboten und so stützte ich mich dabei in der Hauptsache auf Ausführungen von Heinrich Thiersch, wie sie sich im „Inbegriff der christlichen Lehre“
1 finden. Thierschs Buch erschien zuerst 1885, also in der Spätphase der katholisch- apostolischen Bewegung.
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Positionen des katholisch-apostolischen Abendmahlsverständnisses
Ausgangspunkt von Thierschs Ausführungen zum heiligen Abendmahl ist der Begriff der Danksagung, der Eucharistie. Er schreibt: „Seiner [Jesu] Danksagung soll unsere Danksagung ähnlich sein, Seiner Hingabe in des Vaters Willen soll das geistliche Opfer Seiner Gemeinde entsprechen. Wie Er das Brot gebrochen, das Brot und den Kelch gesegnet hat, so sollen es Seine Diener in der Verwaltung des Sakraments tun [...]. Das Sakrament des Altars ist
Opfer und Kommunion; in dieser Feier findet die höchste Anbetung Gottes und die höchste Gnadenspende an uns Menschen statt; wie im Katechismus gesagt ist (Fr. 26): ‚Wir feiern solches Gedächtnis (des Todes Christi) sowohl durch das Opfer, das wir in diesem Sakrament bringen, als auch durch unsern dankbaren Genuß desselben.’“ Und dann kommt Thiersch auf den alles entscheidenden Punkt: „Beides Opfer und Kommunion, hat zur Grundlage die
wahre und
wirkliche Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl.“
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In den zitierten Ausführungen kommen die wesentlichen Positionen der katholisch- apostolischen Abendmahlslehre zur Sprache. Die Danksagung Jesu bei der Einsetzung des Abendmahls und die Danksagung der Gemeinde sollen einander entsprechen. Unmittelbar mit der Danksagung, der Eucharistie, ist das Opfer verbunden. Auch hier sollen sich Jesus Christus und Gemeinde entsprechen. Auf das tatsächliche Opfer Christi, auf seine Hingabe am Kreuz, antwortet die Gemeinde mit ihrem geistlichen Opfer, das aus Anbetung Gottes und Gehorsam ihm gegenüber besteht. Hier nimmt die katholisch-apostolische Abendmahlslehre ein Motiv auf, das sich sowohl in der römisch-katholischen wie in der anglikanischen Abendmahlslehre findet, nämlich das der „Selbstdarbringung der Kirche“
3. Thiersch schreibt: „Zur echten Feier der heiligen Eucharistie gehört das Opfer unser selbst, eine erneute Huldigung: ‚Wir erneuern Dir unsere Gelübde und versprechen hinfort, Deinem heiligen Willen und geboten zu gehorchen, alles aber, was Du verabscheust, aufs äußerste zu meiden.’ Dies Gelübde legen wir ab, und es wird im Himmel angenommen; der Herr nimmt uns beim Wort.“
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Die christliche Gemeinde und Jesus Christus, der Herr der Kirche ist, begegnen also einander im eucharistischen Geschehen. Im Abendmahl geschieht „die höchste Anbetung Gottes“ und „die höchste Gnadenspende an uns Menschen“. Das Abendmahl ist hier also zunächst einmal Gottesbegegnung des Menschen und Menschenbegegnung Gottes, insofern ist das „Sakrament des Altars [...]
Opfer und Kommunion“ in einem. Thiersch hebt den Opfercharakter des Abendmahls mit Vehemenz hervor: „Sie [Eucharistie] ist das große Erinnerungsopfer, welches immerwährend dargebracht wird zum Gedächtnis des einen Opfers, welches Jesus Christus einmal für immer am Kreuz gebracht hat; denn hiermit ‚verkündigen wir den Tod des Herrn, bis dass Er kommt’.“
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Die Verbindung von „Opfer“ und Abendmahl lässt natürlich an die römisch-katholische Lehre von der Vergegenwärtigung des Opfers Christi in der Eucharistie denken, die von Reformatoren mit aller Entschiedenheit abgelehnt wurde. Thiersch, der lutherische Theologe, wendet sich hier bewusst gegen einen wichtigen Aspekt der lutherischen Abendmahlslehre. Zugleich macht er deutlich, dass es sich hier nicht um eine unblutige Wiederholung des Opfers Jesu handelt, sondern um ein „Erinnerungsopfer“, durch das das „Einmal für allemal“ des Kreuzestodes gewährleistet bleibt und zugleich in der Sakramentsfeier vergegenwärtigt wird. Deutlich wird hieran der integrative Charakter der katholisch-apostolischen Abendmahlslehre, die – ähnlich wie der Anglikanismus – zwischen den konfessionellen Extremen zu vermitteln sucht.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der übrigens in allen Abendmahlslehren hervorgehoben wird, ist der Gedächtnischarakter des Abendmahls. Diesen hebt Thiersch dadurch hervor, dass er sagt: „Wie Er [Jesus Christus] das Brot gebrochen, das Brot und den Kelch gesegnet hat, so sollen es Seine Diener in der Verwaltung des Sakraments tun.“ Die Abendmahlsfeier ist Gedächtnisfeier, Vergegenwärtigung der Stiftung des heiligen Mahles, seine Wiederholung und Gedächtnis des Todes Jesu Christi. Grundlage als der bislang benannten inhaltlichen Aspekte ist, mit Thierschs Worten, die sich an lutherische Formulierungen anschließen, „die
wahre und
wirkliche Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl“. Tiersch führt diesen Generalschlüssel zu Abendmahlslehre ziemlich breit aus. Zunächst einmal erläutert er, was darunter zu verstehen ist, wenn man die sichtbaren Elemente – also Brot und Wein – des heiligen Abendmahls „Zeichen“ nennt. Bei seiner Erklärung grenzt er sich klar von reformierten Positionen ab, bei denen im Kontext des Zeichenbegriffs der Verweisungscharakter von Brot und Wein hervorgehoben wird. Thiersch schreibt: „ Es sind Zeichen, Symbole der Sinnbilder nicht einer abwesenden Sache, sondern der himmlischen Güter, die, wenn auch unsichtbar, doch wahrhaftig gegenwärtig sind. Nur in diesem Sinn darf man hier von Zeichen sprechen. Wir halten fest an dem göttlichen Geheimnis: Hier ist nicht ein anderer Leib, nicht ein anderes Blut, sondern, wie der Herr spricht, derselbe Leib, der für uns gebrochen wurde, dasselbe Blut, das für uns vergossenen wurde zur Vergebung der Sünden und doch nicht mehr sterblich und irdisch wie dazumal, sondern verklärt, unsterblich, himmlisch.“
6 Der auferstandene Herr ist in seinem verklärten Leib also im Abendmahl gegenwärtig und zwar, um wieder mit Thiersch zu sprechen, „nicht etwa ein Teilchen von Christus, sondern der ganze Christus [ist] gegenwärtig [...], Sein Leib und Blut ‚zugleich mit der Seele und der Gottheit’.“
7 Thiersch betont, dass es beim Abendmahl nicht um die natürliche Sättigung oder Speisung geht: „Die himmlische Gabe“, schreibt er, „ ist nicht zur Ernährung des leiblichen und vergänglichen Lebens, sondern des geistlichen und ewigen Lebens bestimmt. Diese wir dadurch gefördert und erneuert.“
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Es wurde schon erwähnt, dass Thierschs Abendmahlslehre katholisierende Tendenzen – wenigstens in terminologischer Hinsicht – hat, am auffälligsten sind sie, wenn behauptet wird, dass der eigentlich römisch-katholische Begriff der „Wandlung“ auch auf die katholisch- apostolische Abendmahlslehre zuträfe. Allerdings hat Thierschs Begriff der Wandlung nichts mit der Transsubstantiation zu tun. Er schreibt: „Wir dürfen getrost von einer Wandlung sprechen, die bei der Konsekration vor sich geht. [...] Denn eine Wandlung ist es in der Tat, wenn das irdische, gewöhnliche Brot zu einem mystischen Brot wird. Vorher war es wertlos, nun aber ist es uns heilig [...]. Die Weihe, welche diese irdischen Elemente empfangen haben, ist eine bleibende Tatsache. Wir sagen nicht, das Brot werde vernichtet, es sei nicht mehr Brot; es ist auch nach der Weihe noch Brot.“
9 Der Begriff „Wandlung“ verweist hier also nicht auf eine Substanzveränderung, sondern meint vielmehr eine Qualitätsveränderung, die auch Brot und Wein betrifft und die eine besondere Ehrfurcht auch vor den natürlichen Elementen intendiert.
Wie im lutherischen Abendmahlsverständnis wird die Lehre von Konsubstantiation oder der Realpräsens in direkten Bezug zur Zweinaturenlehre gestellt. Thiersch schreibt: „Es verhält sich hier ähnlich wie mit dem Geheimnis der Person unseres Herrn Jesu Christi, in welcher Gottheit und Menschheit vereinigt sind. Er war und ist wahrer Mensch, und doch durfte man, als man Ihn auf Erden wandeln sah, sagen: Dieser ist wahrhaftiger Gott – wiewohl er nicht aufhört, Mensch zu sein. So sagen wir: Die ist die himmlische Gabe, der verklärte Leib und das verklärte Blut unseres erhöhten Heilandes, und doch ist es noch Brot und Wein. Die Kreatur hat nicht aufgehört zu sein, wiewohl sie Trägerin des himmlischen Gutes geworden ist.“
10 Später hat Anton Valentin die lutherischen Tendenzen in der katholisch-apostolischen Abendmahlslehre noch deutlicher herauszuarbeiten versucht, in dem er mit der Ubiquitätslehre – ganz so wie im Luthertum – die wahre Gegenwart von Leib und Blut Christi begründete: „Die Möglichkeit, dass der Herr uns Seine Gegenwart erweisen kann, ohne Seinen Platz zur Rechten des Vaters zu verlassen, beruht darauf, dass Er seit Seiner Auferstehung einen geistlichen Leib hat. Dieser geistliche Leib hat aber seine besonderen, uns unbegreiflichen Eigenschaften. Dass es ein wirklicher Leib, ‚Fleisch und Bein’ war, davon haben sich Seine Jünger, Thomas voran, hinreichend überzeugen können. [...] eine andre Eigenschaft oder Fähigkeit dieses geistlichen Leibes ist diese, dass Er in den nach Seinem Befehl konsekrierten Elementen des Brotes und Weines uns Seine Gegenwart erweisen kann.“
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Der Abendmahlsgenuss hat für Thiersch folgende Auswirkungen: „Das heilige Abendmahl ist göttliche Stärkung zu allem Guten. Wir empfangen Kraft, den Willen Gottes zu tun, und alles, was Er uns auferlegen wird geduldig zu leiden. [...] Wir werden in die geheimnisvolle Gemeinschaft mit dem Herrn eingeführt und darin befestigt [...]. Es ist Gottes Gnadenmittel zu unserer Vollendung. [...] Die heilige Kommunion ist uns bestimmt als Vorbereitung auf die erste Auferstehung oder die Verwandlung.“
12 Ebenso wird der Gemeinschaftscharakter des Abendmahls hervorgehoben. Thiersch bemerkt dazu: „Durch die Teilnahme am heiligen Abendmahl treten wir in erneuerte Gemeinschaft nicht allein mit Christus, sondern auch mit allen
Heiligen. Wer sind die Heiligen? Es sind die, welche an Christus glauben, auf Seinen Namen getauft sind und im Stand der Gnade beharren [...].“
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Eine deutliche Unterscheidung macht Thiersch zwischen Abendmahl und Sündenvergebung: „Die Kommunion ist nicht eingesetzt als das Gnadenmittel, wodurch uns Gott unsere Schulden erlässt. Die Vergebung der Sünden soll vorangehen; vorher müssen wir sie suchen und finden; dies gehört zu unserer Vorbereitung. Dann wird dem reumütigen und Gläubigen die ihm gewordene Vergebung in der Darreichung der heiligen Kommunion besiegelt.“
14 Thiersch nimmt, obwohl die Abendmahlslehre, die er entwirft, einen integrativen Charakter hat, doch eindeutig Stellung gegen die Transsubstantiationslehre, der er – und dies hängt damit zusammen, dass zwischen Abendmahlslehre und Zweinaturenlehre eine Parallele gezogen wird – gleichsam doketische Tendenzen vorhält: „Dies hält uns ab zu sagen: Brot und Wein seien nicht mehr da. [...] Wollte man nur sagen, die Kreatur selbst existiert nicht mehr, obwohl ihre Eigenschaften da sind, so würde man einen täuschenden Schein annehmen müssen.“
15 Vielleicht noch kritischer bewertet Thiersch die reformierte Abendmahlslehre, die Brot und Wein allein als Hinweise auf Leib und Blut Christi versteht. Thiersch schreibt: „Jene nun, welche keine Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl bekennen, lassen ihre Abendmahlsfeier auf die Stufe des Liebesmahls [Agapemahls] herabsinken.“
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Entfaltungen zum Heiligen Abendmahl in der Zeit von Stammapostel Niehaus
Die katholisch-apostolische Abendmahlslehre, so konnten wir sehen, hat ihre Entfaltung in den Begriffen und Denkfiguren traditioneller Theologie erfahren und orientiert sich an lutherischen Positionen. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die Autoren – denken wir an Thiersch – die theologischen Entwürfe und Begriffe unterschiedlicher Abendmahlslehren vertraut waren und sie mithin für sich zu nutzen verstanden. Ganz anders ist es bei den Autoren der neuapostolischen Positionen zum Abendmahl, die sich eigentlich nie zu einer geschlossenen Lehre zu entwickeln vermochten. Die frühen neuapostolischen Abendmahlvorstellungen sind meist recht unsystematisch und kommen zum größten Teil ohne die geläufige theologische Diktion sowie die Weise der Entfaltung aus. Diejenigen, die versuchten, Positionen zum Abendmahl zu formulieren, sind weder mit den theologischen Denkformen oder theologischer Begrifflichkeit noch mit den unterschiedlichen Lehren zum Abendmahl vertraut. Insofern machen die Texte einen sperrigen Eindruck. Es ist auch möglich, dass man absichtlich die geläufige theologische Begrifflichkeit vermied.
Den Versuch einer lehrmäßigen Entfaltung der Vorstellungen zum Abendmahl unternimmt das „Hülfsbuch“
17, das 1908 erschien. Zunächst wird in ihm eine allgemeinchristliche Wahrheit ausgesprochen: „Das heilige Abendmahl ist das Werk Gottes des Sohnes.“
18 Hier wird daran erinnert, dass Gott, der Sohn, Mensch geworden ist und dass er das Opfer gebracht hat.
In den Ausführungen zum Heiligen Abendmahl wendet sich das „Hülfsbuch“ zunächst einmal – und hier steht es fraglos in katholisch-apostolischer Tradition – ausdrücklich gegen die Lehre von der Transsubstantiation: „Im heiligen Abendmahl bleibt ‚Brot’ Brot und ‚Wein’ bleibt Wein. Beides dient aber als Schale, wohinein die Taten Jesu durch das Wort gehüllt werden, das ist mein Leib und mein Blut usw.“
19 Die Metapher „Schale“ verweist auf den Begriff Akzidenz, also auf die konstitutiven Elemente. Durch die Konsekration, so soll zum Ausdruck gebracht werden, verändern sich Brot und Wein substantiell nicht, vielmehr werden sie zum Träger von Leib und Blut Christi. Hier ist die Konsubstantiation, ohne dass im Einzelnen dazu etwas gesagt würde, mehr als angedeutet. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, zu erklären, was Leib und Blut Christi konkret bedeuten. Das „Hülfsbuch“ führt aus: „Der Herr Jesus hat einst sein Fleisch (lebende Taten) und sein Blut (Geisteswirken) an das natürliche Brot und Wein gebunden.“
20 Auch von der Wirkung des Sakraments macht das „Hülfsbuch“ Mitteilung: „Durch diesen Genuß soll auch der natürliche Leibe auferstehen, zum Leben Jesu, von ihm erweckt auch aus dem Sündenschlafe.“
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Die aus der katholisch-apostolischen Abendmahlslehre bekannte Opferthematik, zu der die „Selbsthingabe der Gemeinde“ gehört, findet in den vorliegenden Ausführungen ein Echo, wenn es heißt: „Brot und Wein opfert die Gemeinde, und in diesem gebrachten Opfer soll die Gemeinde sich opfern, und zwar mit ihrem Leibe und Geiste als der gebrochene Wille im Brote, und die Reue und Liebe im Kelche.“
22 Zunächst einmal stellen Brot und Wein Opfergaben der Gemeinde dar. Doch bleibt man hier nicht stehen, sondern lädt die Abendmahlselemente gleichsam anthropologisch auf: das Brot dient als Symbol für den „gebrochenen Willen“ und der Kelch, also der Wein, als Symbol für „Reue und Liebe“ der Gemeinde.
Im Abendmahlsgeschehen erfährt das Erlösungsgeschehen, das auf Golgatha stattfand, gleichsam eine geistige Wiederholung: „Auf dieses geopferte Fleisch und Blut der Gemeinde in Brot und Wein, worauf der Tod und das Gericht liegt, legt Jesus die Decke, sich selbst, in der Opferung des einmal gebrachten Opfers, was aber in lebenden Boten gehüllt ist [...].“
23 Die „Decke“, die auf die geopferten Sünden gelegt wird, meint die Vergebung der Sünden und die daraus resultierende Rechtfertigung des Sünders. Dies geschieht nun nicht unmittelbar durch Jesus, sondern es ist „in lebenden Boten gehüllt“, das heißt konkret: Sie wird durch Apostel zugesprochen. Im Anschluss daran wird die Bedeutung des Apostelamtes für das rechtmäßige Zustandekommen des heiligen Abendmahls betont: „ Somit ist es der wahre Leib und Blut Jesu Christi, von ihm gestiftet und seinen Aposteln zur Verwaltung gegeben; wo es nun durch die Diener der Apostelkirche in der Schale des gesegneten Brotes und Weines den Gläubigen gegeben wird, und diese der am Stamm des Kreuzes erworbenen Gerechtigkeit Christi teilhaftig werden, zum immer neuen Gedächtnis an sein bitteres Leiden und Sterben für uns sündige Menschen.“
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Wir sehen, nicht Überlegungen zur Gegenwart von Leib und Blut Christi stehen im Zentrum des Abendmahlsverständnisses der Niehaus-Zeit, sondern Sündenvergebung und Rechtfertigung des Sünders. Von daher werden Absolution und Abendmahl wesentlich stärker und ausschließlicher als es bei der katholisch-apostolischen Abendmahlslehre der Fall war aufeinander bezogen: „Durch das Wort der Absolution (Sündenvergebung) bekommt der Gläubige die Freisprache, aber durch den Genuß des heiligen Abendmahls die Quittung und das Siegel zur empfangenen Freisprache der vergebenen Sünde und des neuen Lebens.“
25 Die Absolution findet also ihre Vollendung und endgültige Bekräftigung erst durch den Genuss des heiligen Abendmahls. Kaum zu übersehen ist, dass dadurch das Altarsakrament seltsam verunselbständigt wird, während die Absolution eine deutliche sakramentale Aufladung erfährt, ohne sie freilich explizit zum Sakrament zu erklären.
Freilich werden auch Wirkungen des Abendmahls genannt, die nur mittelbar mit der Absolution zusammenhängen. So heißt es im Hülfsbuch beispielsweise, dass „durch den Genuß auch insonderheit der Leib geheimnisvoll geheiligt [wird] zur Auferstehung von der Sünde, auch zur natürlichen Auferstehung.“
26 Hier wird also eine präsentische und futurische Wirkung des Abendmahls angenommen: Es befreit heute von der Sünde und ist eine der Grundlagen für die zukünftige Auferstehung von den Toten.
Im Kontext der Veränderungen der äußeren Zeichen beim Abendmahl, die 1917 vorgenommen wurde, kommt es zu recht klaren Aussagen, die in Richtung Realpräsens weisen. In der Neuapostolischen Rundschau vom 25. März 1917 können wir lesen: „Mit dem beträufelten Brote genießen wir unseres Erachtens nach genau so den wahren Leib und das wahre Blut Christi, als wenn wir es wie bisher aus dem Kelche abgesondert vom Brote trinken. Wollen wir das Natürliche als Schattenbild nehmen, dann finden wir sogar, dass das Blut nicht neben dem Leibe herfließt, sondern ebenfalls im Leibe ist. [...]Leib und Blut als die himmlische ewige Substanz ist in die beträufelte Hostie eingehüllt.“
27 Auffällig ist in diesem Text, dass in ihm eine Wendung der lutherischen Abendmahlslehren fällt, wenn vom „wahren Leib und das wahre Blut Christi“ die Rede ist. Mit „Substanz“ erscheint überdies ein tragender Begriff der Konsubstantiationslehre. Mit wenigen Worten wird also deutlich gemacht, dass man an die Realpräsens von Leib und Blut Christi glaubt.
Systematischer als das Hülfsbuch - nämlich in Form von Fragen und Antworten - versucht das „Lehrbuch für den Religionsunterricht der Kinder und Konfirmanden in der Neuapostolischen Gemeinde“
28, das zuerst 1916 erschien, die Bedeutung des Abendmahls darzustellen. Im Folgenden wird aus der Ausgabe von 1930 zitiert, die also aus der Endphase der Niehaus-Ära stammt.
Die Frage „Was ist das heilige Mahl?“ wird folgendermaßen beantwortet: „Das heilige Mahl ist die Darreichung und der Genuß der Verdienste Jesu Christi in seinem geopferten Leibe und vergossenen Blute, die in den Mitteln Brot und Wein geheimnisvoll, doch sichtbar, gespendet werden.“
29 Auch hier ist also der Gedanke der Konsubstantiation vorhanden, zugleich wird gesagt, dass das Abendmahl auch Anteil an dem Heil gewährt, das aus dem Opfertod Jesu kommt. Von daher wird der testamentarische Charakter des Abendmahls betont: „Er stiftete alle Errungenschaften seines gottgefälligen Lebens und verfügte rechtmäßig auch über die noch von ihm zu erringenden Opferverdienste.“
30 Die unterschiedlichen inhaltlichen Aspekte des Abendmahls werden wie folgt zusammengefasst: Das heilige Abendmahl ist
- 1. „das erneuerte Gedächtnis des ewig gültigen Liebesopfers Jesu Christi,
2. das sichtbare Siegel oder die Quittung zur Sündenvergebung,
3. die Kraftspeise und der Heilstrank des inwendigen Menschen,
4. das Gemeinschaftsmahl mit den Seinen und
5. das sichtbare Mittel für den Leib zu seiner Heiligung oder Zurichtung zur Auferstehung.“31
Das Moment der „Quittung zur Sündenvergebung“ wird in der Frage 373 „Wieso ist das heilige Mahl das sichtbare Siegel oder die Quittung der Sündenvergebung?“ noch einmal aufgenommen und mit der Antwort versehen: „Es ist das Liebesmahl der völlig geschenkten Gottesgnade und das göttliche Tatzeichen, dass die Sünden dem Menschen wahrhaftig vergeben sind.“
32 Die Bedeutung der Abendmahlselemente wird ebenfalls geklärt: „Diese äußerlichen Mittel dienen als Hülle für die Erlösungsgnade und Taten Jesu Christi und werden dem natürlichen Leibe gegeben, durch welchen im Glauben dieser Segen der im Fleisch wohnenden Seele und dem Geiste des Menschen zugeführt wird.“
33 Seele und Geist werden durch das Abendmahl, das im Glauben genossen wurde, gespeist, nicht der Leib. Das Abendmahl ist „sichtbare Darreichung der eingehüllten unsichtbaren geistlichen Seelen- und Geistesspeisung “
34. In der Antwort auf die Frage 401 – „Wodurch wird das heilige Mahl zu einer uns verpflichtenden Bundeshandlung?“ – werden die schon bekannten Positionen wiederholt:
- 1. „In Brot und Wein opfert die Gemeinschaft ihr Taten- und Geistesleben, neu zubereitet und erleuchtet durch das voraufgegangene Wahrheitswort der Predigt;
2. In dieser Opferung liegt alles sündhafte Wesen, worauf Gericht und Verdammnis liegt;
3. In den Kreaturen liegt der gebrochene Wille, Reue und Leid, sichtbar verkörpert dargestellt,
4. Diese Darstellung der Kreatur bezeugt aber auch das von uns von Gott und Christum erschaute Verlangen nach den deckenden und erlösenden Verdienstestaten Jesu Christi und
5. Es besiegelt die Gemeinschaft damit neu die Gelöbnisse und die erneuernde Befestigung der bestehenden Gottesbündnisse.“35
Die Auswirkungen des heiligen Abendmahls werden dann in der Antwort auf die Frage 402 – „Welche Zusage gibt Jesus in der Bundeshandlung des heiligen Mahles?“ – beschrieben:
- 1. „Teilt er darin wesenhaft seine Gerechtigkeit aus, die für uns vor Gott gilt: das sind seine Opferverdienste;
2. Besiegelt er die Tat der Gnade und Sündenvergebung und
3. verbürgt er sich neu mit seinem ganzen Sein für seine göttlichen uns gegebenen Gnadenverheißungen.“36
Wie schon in früheren Texten wird auch hier dem Abendmahl vor allem rechtfertigende Funktion zugeschrieben, die konkret in der Sündenvergebung erlebt wird. Zugleich ist das Abendmahl göttliche Versicherung der „uns gegebenen Gnadenverheißungen“, zu der nicht zuletzt die Wiederkunft Christi und die Auferstehung der Toten zählen.
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Entfaltungen zum Heiligen Abendmahl in der Zeit von Stammapostel Bischoff
In dem 1935 erschienenen Buch „Die Ämter und Sakramente der Neuapostolischen Kirche“
37 wird dem Abendmahl ein relativ breiter Raum zugebilligt. Die bekannten Elemente der Abendmahlslehre aus der späten Niehaus-Zeit werden wieder aufgenommen. Allgemein wird zunächst vom Abendmahl gesagt: „Es ist eins der Gnadenmittel, woraus der Gläubige immer wieder neue Kraft empfängt, um auf dem Wege der Heiligung fortschreiten zu können, das ihm die Gerechtigkeit versichert, die durch den Glauben an Jesum Christum erlangt wird. Es ist die Darreichung und der Genuß der Verdienste Jesu Christi, in seinem geopferten Leib und vergossenen Blute, die in den Mitteln Brot und Wein geheimnisvoll, doch sichtbar, gespendet werden.“
38 Neu ist, dass das Abendmahl in unmittelbaren Bezug zu den anderen Sakramenten gestellt wird: „ Die Feier des heiligen Abendmahles erinnert den Menschen an seine Wiedergeburt, in welche er durch die Taufe mit Wasser und Geist versetzt wurde (Titus 3,4- 6), und versichert uns auf neue der Versöhnung mit Gott [...].“ Deutlich wird hier, dass die Sakramente aufeinander bezogen sind und nicht isoliert für sich stehen. Dies ist übrigens eine Position, die vor allem von der Orthodoxie vertreten wird. Wie schon bekannt, werden Opfer Christi und Opfer der Gemeinde, das in der Darbringung von Brot und Wein geschieht, in Relation zu einander gebracht. Hier ist die Ähnlichkeit zur katholisch-apostolischen Auffassung nicht zu übersehen: „Christus hat in seinem bitteren Leiden und Sterben ein Opfer für die Sünden dargebracht, das ewiglich gilt, denn mit einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiligt werden (Hebräer 10,12.14). Doch müssen auch wir, indem wir uns zum Herrn nahen, unser Opfer bringen, nämlich gesegnetes Brot und gesegneten Wein, um dadurch dankend den Tod des Herrn zu verkündigen (1. Korinther 11,26).“
39 Auch das Motiv der Danksagung, der Eucharistie, wird wieder aufgenommen: „Wenn wir nun das heilige Abendmahl zum Gedächtnis des Herrn genießen, so ist es kein Trauermahl, sondern vielmehr, wie eine alte Benennung es andeutet, eine Danksagung bei dem Mahle, das gehalten wird zum Gedächtnis an den Tod des Herrn, und durch das Genießen des gesegneten Brotes und Weines empfangen wir Gemeinschaft mit dem Auferstehungsleibe Jesu.“
40 Das Abendmahl erinnert zum einen an den Tod Jesu und schenkt zum anderen Gemeinschaft mit dem „Auferstehungsleib Jesu“, also mit seinem verherrlichten Leib. Auch hier wird eine katholisch-apostolische Vorstellung wieder aufgenommen. Die wahrhaftige Gegenwart von Leib und Blut Jesu Christi sowie die rechtfertigende und eschatologische Funktion des Abendmahls werden noch einmal ausdrücklich hervorgehoben: „Das heilige Abendmahl ist das Gemeinschaftsmahl Jesu mit den Seinen und das sichtbare Mittel für den Leib zu seiner Heiligung oder Zurichtung zur Auferstehung. Es ist nicht allein ein Mahl zum Gedächtnis an die Menschwerdung des Sohnes Gottes, an seine freiwillige Übergabe für uns in den Tod und an die Erlösung, die der Herr dadurch für uns zuwege gebracht hat, sondern wir genießen auch im Abendmahl den Leib und das Blut des menschgewordenen Sohnes Gottes.“
41 Die Auswirkungen der Kommunion sind präsentischer und futurischer Art: „Durch den Genuß dieses heiligen Mahles erhalten wir Leben aus ihm, der sich für uns zum Opfer gegeben hat. Wir nehmen daraus stets Erneuerung und Stärkung des göttlichen Lebens in uns auf. Der Genuß des heiligen Abendmahls versichert uns des ewigen Lebens, der innigen Vereinigung mit Christo, des Bleibens ihn ihm, wie seines Bleibens in uns (Johannes 6,51-58).“
42 Auffällig ist in den zitierten Äußerungen besonders die Betonung des eschatologischen Charakters des Sakraments, die mit entsprechenden Tendenzen in der Bischoff-Zeit zusammenhängt. Das Abendmahl wird schließlich auch als Antizipation des endzeitlichen Hochzeitsmahls verstanden: „Das von uns gefeierte Mahl weist uns auch auf das große Abendmahl oder das Hochzeitsmahl des Lammes hin (Offenbarung 19,17) [..].“
43 Auch in den „Ämtern und Sakramenten“ wird das heilige Abendmahl als „Quittung“ „der erfolgten Vergebung der Sünden“
44 bezeichnet, damit bleibt ein wesentliches Kennzeichen der Abendmahlsvorstellungen aus der Niehaus-Zeit erhalten.
Während sich in „Die Ämter und Sakramente der Neuapostolischen Kirche“ relativ ausführliche Einlassungen zum Abendmahl finden, gibt es in der Ausgabe von „Fragen und Antworten“
45, die 1938 erschien, nur noch rudimentäre Angaben zum Abendmahl. Man kommt über formelhafte Wendungen nicht hinaus. Das Thema der wahren Gegenwart von Leib und Blut Christi im Sakrament wird nicht angesprochen. Auf die Frage 215 „Was ist das Heilige Abendmahl?“ wird folgende Antwort gegeben: „Durch den Genuß des Heiligen Abendmahls nehmen wir von dem Vermögen in uns auf, das Jesus durch seinen Opfertod für uns erworben hat.“
46 Zur Wirkung der Kommunion wird (Frage 220) gesagt: „ Durch den würdigen Genuß des Heiligen Abendmahles wird nach erfolgter Freisprache eine völlige Tilgung der Schulden bewirkt. Außerdem gelangen wir durch das Heilige Abendmahl zu einer engen Gemeinschaft mit Jesus (Johannes 6,48; 53-58).“
47 Einzig das Verhältnis von Sündenvergebung und Abendmahl erfährt noch eine genauere Bestimmung, alle anderen Themen bleiben ausgespart.
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Aussagen zum Heiligen Abendmahl in „Fragen und Antworten“ seit den 60er Jahren
In der Tradition der „Fragen und Antworten“ von 1938 sind die Aussagen zum heiligen Abendmahl in den folgenden Ausgaben ebenfalls sehr sparsam und entfalten nicht einmal mehr Grundzüge einer Abendmahlslehre. So finden wir in „Fragen und Antworten“ von 1968 nur eine explizite inhaltliche Bestimmung, die wieder die Grundbeziehung zwischen Sündenvergebung und Abendmahl thematisiert. Es heißt dort: „Die Freisprache ist die Verkündigung der Gnade und das Abendmahl die Bestätigung, dass die Schuld erlassen ist.“
48 (Frage 275). Der Begriff „Quittung“ wird nun zwar vermieden, doch sachlich hat sich nichts geändert. Erst in „Fragen und Antworten“
49 von 1972 spielt der Gedanke der Vollendung oder Quittung der Sündenvergebung keine Rolle mehr. Auf die Frage 275 „In welchem Zusammenhang steht die Freisprache zum heiligen Abendmahl?“ findet sich die Antwort: „Die Freisprache bewirkt den Seelenzustand, in dem das heilige Abendmahl würdig genommen werden kann.“
50 Hier verabschiedet man sich also von einer Tradition, die signifikant für die neuapostolische Abendmahlsvorstellung war. Die Absolution wird hier nun einzig als Voraussetzung für den würdigen Genuß des heiligen Abendmahls verstanden.
Die letzte Auflage von „Fragen und Antworten“
51, die 1992 erschien, bemüht sich wieder etwas mehr zum Abendmahl zu sagen. Die Frage 203 „Was ist das Heilige Abendmahl?“ wird nun etwas ausführlicher beantwortet, vor allem erscheinen nun auch wieder jene Kategorien, die zu jeder Abendmahlslehre gehören: „Neuapostolische Christen erleben das Heilige Abendmahl nicht nur als Gedächtnisfeier (‚das tut zu meinem Gedächtnis’, Lukas 22,19). Vielmehr ist der Sohn Gottes, an den die Gläubigen gedenken, mitten unter ihnen. Das Heilsgeschehen der Vergangenheit wird im Heiligen Abendmahl vergegenwärtigt, wirkt in die Zukunft und geht dahin, dass Christus das vollenden wird, was er begonnen hat.“
52 Wieder wird, wie schon in früheren Zeiten, darauf hingewiesen, dass dem Abendmahl nicht nur ein Gedächtnischarakter zukommt. Darüber hinaus wird auch wieder Bezug genommen auf die eucharistische Komponente des Abendmahls: „Das Heilige Abendmahl ist zudem Feier der Freude, ein Lobpreis und eine Danksagung. [...] Wie Jeus Brot und Wein nahm und ‚dankte’, so tritt die Gemeinde mit Brot und Wein vor Gott, um ihn zu loben und ihm zu danken für das Verdienst des Sohnes.“
53 Eine weitere wichtige Frage der Abendmahlslehre, nämlich dem Verhältnis von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi, wird ebenfalls angesprochen: „Brot und Wein verändern sich durch die Aussonderung stofflich nicht. In geistlicher Wirklichkeit sind sie das geworden, wozu sie ausgesondert sind: Jesu Leib und Blut.“
54 Zunächst einmal wird die Transsubstantiationslehre abgelehnt, die Tendenz geht – ganz der neuapostolischen Tradition entsprechend – in Richtung der Konsubstantiation. Allerdings wählt man mit „geistliche Wirklichkeit“ einen Begriff, der auf die reformierte oder anglikanische Abendmahlslehre verweist. Für den Schweizerischen Reformator Zwingli etwa ist Jesus Christus allein auf geistliche Weise im Abendmahl gegenwärtig, während Luther von seiner tatsächlichen Gegenwart spricht.
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Das gegenwärtige Abendmahlsverständnis der Neuapostolischen Kirche
Kommen wir zum Abschluß noch kurz auf das heutige neuapostolische Verständnis vom Heiligen Abendmahl zu sprechen. Auffällig ist, dass die Entfaltung in formaler und terminologischer Hinsicht sich von den bislang zitierten neuapostolischen Quellen radikal unterscheidet und in vielem Ähnlichkeit mit den katholisch-apostolischen Texten zum Abendmahl ausweist. Die Darstellung zum Heiligen Abendmahl benutzt die geläufigen theologischen Begriffe. Insgesamt schließt es inhaltlich an die neuapostolische Tradition zum Abendmahl an, in der mehr oder weniger deutlich und bewusst die Lehre von der Realpräsens vertreten wird.
So heißt es zum Verhältnis der Abendmahlselemente zu Leib und Blut Christi: „Bei der Aussonderung (Konsekration) der Hostie durch einen dazu bevollmächtigten Amtsträger bleibt die äußere Gestalt (Akzidenz) der Abendmahlselemente unverändert. Doch tritt zu den Substanz von ‚Brot und Wein’, die erhalten bleibt, nun die Sustanz von ‚Leib und Blut Christi’ hinzu. Es findet also keine Verwandlung (Transsubstantiation) von Brot und Wein zu Leib und Blut statt, sondern ein Hinzutreten [der beiden Substanzen] (Konsubstantiation).“
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Auch wird, ganz so wie bei Thiersch, eine Parallele zwischen Konsubstantiation und Zweinaturenlehre gezogen: „Die Abendmahlselemente haben damit ein doppeltes Wesen. Das ist vergleichbar mit der doppelten Natur von Jesus Christus, der zugleich Gott und Mensch ist: Es entsprechen Brot und Wein seiner menschlichen Natur sowie Leib und Blut seiner göttlichen Natur.“
56 Das Sakrament erhält also auch eine deutliche strukturelle christologische Anbindung.
Ebenso wird die Gegenwart des Opfers betont und ausdrücklich zwischen Kommunion und Absolution unterschieden: „So ist der Herr in der Abendmahlfeier wahrhaft gegenwärtig: seine Gottheit und sein Menschsein. Der Gekreuzigte, Auferstandene und Wiederkommende ist also mitten in der Gemeinde. Auf diese Weise wird das Opfer Christi gegenwärtig. Zwar gründet auch die Vergebung der Sünden auf dem Opfer Christi. Doch allein dessen Gegenwart im Heiligen Abendmahl bewirkt nicht gleichzeitig die Sündenvergebung. Dazu bedarf es der vorangegangenen Freisprache.“
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Des Weiteren wird herausgestellt, dass das Abendmahl „Gedächtnismahl, Bekenntnismahl und Gemeinschaftsmahl“
58 ist. Gedächtnismahl wird wie folgt erläutert: „Gedacht wird zunächst des Todes Jesu Christi als einzigartigem und allzeit gültigem Geschehen. Erinnert wird zudem an die wahre Anwesenheit des Herrn in ‚Leib und Blut‘ sowie an seine verheißene Wiederkunft. Damit bezieht sich das Gedenken nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Gegenwart und die Zukunft.“
59 Gedenken ist hier gleichsam der hermeneutische Schlüssel und liefert den Verstehenshorizont für die erinnernde Präsenz des Todes Jesu und seiner tatsächlichen leiblichen Anwesenheit. Zugleich hat dieses Gedächtnis auch antizipierenden Charakter, denn es verweist auf Zukunftsaussagen in der Verkündigung Jesu und die Zukunft mit ihm.
Der Begriff „Bekenntnismahl“ , mit dem das Abendmahl hier nun ebenfalls versehen wird, verweist auf einen Grundcharakter des christlichen Glaubens, der immer mit Bekenntnis verbunden ist. Das Abendmahl wird insofern als unmittelbarer Bekenntnisausdruck des Einzelnen und der Gemeinde verstanden: „Das Bekennen bezieht sich vor allem auf Tod, Auferstehung und Wiederkunft Jesu Christi. Wer an der Abendmahlfeier einer bestimmten Glaubensgemeinschaft dauerhaft teilnimmt, dokumentiert – über diesen christlichen Grundkonsens hinaus – seine Zustimmung zum Bekenntnis der jeweiligen Kirche. Dazu gehört in der Neuapostolischen Kirche der Glaube an die Vollmacht der heute tätigen Apostel und die Ausrichtung des Lebens auf die Wiederkunft Christi.“
60 Die Abendmahlsgemeinde als Bekenntnisgemeinschaft betont den konfessionellen Charakter jeder Abendmahlsfeier, die immer im Kontext einer konkreten Denomination stattfindet und nicht außerhalb ihrer.
Auch zum Abendmahl als Gemeinschaftsmahl finden sich Positionierungen, wenn es heißt: „Gemeinschaft stiftet das Abendmahl in dreifacher Weise: Der Mensch gewordene und verherrlichte Gottessohn hält Gemeinschaft mit seinen Aposteln und mit dem einzelnen Gläubigen. Und schließlich hat die gottesdienstliche Gemeinde untereinander Gemeinschaft.“
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Das Abendmahl wird – und hier wird ein Motiv aufgenommen, das schon in den „Ämtern und Sakramenten der Neuapostolischen Kirche“ angesprochen wurde – auch als eschatologisches Mahl verstanden: „Durch den Hinweis auf die Wiederkunft Christi hat das Heilige Abendmahl auch einen endzeitlichen Charakter. Denn bis zur Hochzeit im Himmel erlebt die Gemeinde ihre innigste Gemeinschaft mit dem Herrn im Heiligen Abendmahl.“
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Insgesamt lässt sich feststellen, dass die heutige neuapostolische Abendmahlslehre starke Ähnlichkeit mit der katholisch-apostolischen Abendmahlslehre hat, die ihrerseits auf der lutherischen Abendmahlslehre basiert. Zugleich werden damit wesentliche Elemente der neuapostolischen Abendmahlslehre des zwanzigsten Jahrhunderts tradiert.